OKI-Logo Predigt im
ökumenischen Gottesdienst
am 18. Januar 2000
in der Neupfarrkirche Regensburg




Wir sind in der Neupfarrkirche versammelt als Glieder am Leibe Christi - andere Glieder des "Christus totus" sind zur gleichen Stunde in der Paulskirche in Rom versammelt, ein lutherischer Bischof öffnet die Gnadenpforte der Basilica San Paolo zu Beginn des Gnadenjahres 2000.

1. Ein bewegender Ort hier, die Keimzelle des lutherischen evangelischen Gemeindelebens in Regensburg, die Kirche, deren älteste Teile im Jahre 1540 als Marienkirche geweiht wurden, die aus der Wallfahrt zur Schönen Maria 1519-1523 gewachsen ist. Martin Luther hält in der Zeit in Wittenberg seine Vorlesungen über die Psalmen, übersetzt die Bibel, und die Menge strömt zu ihm zur befreienden Botschaft von der Rechtfertigung allein aus Gnade.
Die heute alten Regensburger hatten in dieser Kirche bis 1958 Maria noch größer als jetzt vor Augen, im Altarbild der Beweinung Christi, jetzt hängt das Bild von Martin Speer 1760 signiert dort im Langhaus.

2. Bewegt sind wir auch von der Stunde, von der Gleichzeitigkeit heute am 18. Januar, eine Woche vor dem Gedenktag der Bekehrung Pauli in Damaskus am 25. Januar eröffnet der lutherische Bischof von Braunschweig, der Präsident des Lutherischen Weltbundes Christian Krause die Gebetswoche für die Einheit der Christen und öffnet feierlich symbolisch die hl. Pforte der Paulskirche südlich des alten Rom am Tiber, wo Paulus nach der Überlieferung enthauptet wurde.

Symbolisch

Symbolisch Und die ganze Milliarde bekehrt sich neu und stimmt zu und dankt, dass sie wieder auf diese zentrale Wirklichkeit unserer Erlösung gewiesen ist, die gerade der Patron der Paulskirche, der Apostel Paulus und grade in seinem Brief an die Christen in Rom so deutlich sagt.
So ist es sozusagen selbstverständlich, dass heuer ein Lutheraner die Pforte zum Gnadenjahr öffnet. Neben ihm stehen und öffnen heute Abend in Rom
Sie alle stellen sich erneut stellvertretend und selbst unter das sola fide, sola scriptura, sola gratia des Paulus von Tarsus, des Martin in Wittenberg.

Der 9. Mai 1996
Tun wir es auch. Lassen wir uns von einem griechischen orthodoxen Priester dazu einladen. Ich bin bewegt, wenn ich in Erinnerung rufe, was am Sonntag, 9. Mai 1996 geschah. An dieser Stelle sprach der Abt Spyridon aus Griechenland. Hier stand dieser orthodoxe griechische Priester im evangelischen Sonntagsgottesdienst, um zu danken. Er war offizieller Vertreter der Stadt Navpaktos, Lepanto, in der am 7. Oktober 1571 der Regensburger Admiral Juan d’ Austria eine riesige osmanische Flotte zurückwarf, die Europa bedrohte.
Abt Spyridon kam in diesen Sonntagsgottesdienst der Neupfarrkirche, weil 1571 die Bürger Regensburgs evangelisch waren. Der Abt schenkte bei seinem Grußwort der evangelischen Gemeinde als Zeichen der Dankbarkeit der heutigen Einwohner von Lepanto eine Ikone, ähnlich dieser hier, und er sagte - ich musste übersetzen aus dem Griechischen:
Die Schwestern und Brüder in Navpaktos danken den Regensburgern, dass 1571 Juan d’ Austria zu uns nach Lepanto kam und dass er gesiegt hat. Aber eigentlich hat nicht er gesiegt, nicht die Kraft der Streiter. Auf dem Flaggschiff stand die große uralte berühmte Marienikone unserer Stadt - hier ist eine Nachbildung. Und so dankbar wir den Regensburgern und ihrem Feldherrn sind, eigentlich sind wir davon überzeugt, dass nicht die Kraft der Streiter (Ps 147) den Sieg errungen hat, sondern die Ikone, eben Maria.
Und dann schaut Pater Spyridon strahlend in die Gemeinde und sagt:
…und da brauchen Sie gar nicht zu erschrecken, liebe evangelische Schwestern und Brüder, weil ich sage "Maria hat den Sieg davon getragen". Was Sie meinen, wenn Sie sagen "nur aus reiner Gnade, " genau das meinen wir orthodoxe Christen, wenn wir sagen "das hat Maria getan. " Und so schenke ich Ihnen diese Ikone als Zeichen der Erlösung aus reiner Gnade.

4. Eine steinerne Erinnerung an den Besuch aus Navpaktos hängt am Haus Ecke Kramgasse Tändlergasse zum Watmarkt hin. Aber Sie, liebe Schwestern und Brüder, möchte ich noch einmal mit nach Rom nehmen. Am Ende einer Romfahrt mit vierzig Gemeindegliedern hielt der lutherische Superintendent Hastedt aus Bremervörde die Abschlussandacht der Woche in Rom und erneuerte ein flammendes Bekenntnis zum lutherischen "allein aus Gnade, allein aus der Schrift, allein aus Glauben". Und eines haben wir in dieser Woche in Rom gelernt, sagte Superintendent Hastedt als letzten Satz: wenn unsere katholischen Schwestern und Brüder das ausdrücken, sagen sie "o Maria hilf!"
So ist es. Maria ist eine gute Lutheranerin. Sie zögert, als der Engel Gabriel ihre Mutterschaft ankündigt. Aber als er dann aus der Schrift zitiert, 1 Mos 18,14 das Wort an Abraham "denn bei Gott ist kein Ding unmöglich," da glaubt Maria der Schrift und sagt: "Siehe, ich bin des Herren Magd." Sie spürt, dass sie nichts aus eigener Kraft kann, keinerlei Voraussetzungen hat, Gott in dieser Welt lebendig zu machen, nicht einmal einen Mann. Aber sie vertraut dem Geist, dem Charisma, der Charis, der Gnade.

5. Rechtfertigungsvergessenheit
Landesbischof Horst Hirschler hat im Zusammenhang mit dem 31. Oktober 1999 von der "Rechtfertigungsvergessenheit" gesprochen. Und wir nehmen es als großes Geschenk, dass die intensive und oft schmerzliche Diskussion um die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigung uns diese befreiende Botschaft wieder ins Herz gegeben hat gerade in einer Epoche, in der die eigene Leistung, der eigene Erfolg, der eigene Kampf so hoch gewertet werden und so viel Schaden anrichten.
Der Rechtfertigungsvergessenheit entspricht die Marienvergessenheit. So wie für viele die Rechtfertigung aus Glauben eine Leerformel geworden ist - leer mit zwei e - so ist Maria zu einem Leerindividuum in ferner Vergangenheit geworden. Unsere Epoche hört nicht gern, dass alle Erlösung nur so geschieht wie in Maria, voll der Gnade, allein aus Gnade. Dann versteht man nicht mehr die brisante Aktualität etwa des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis Mariens im Schoß ihrer Mutter neun Monate vor der Geburt. Wir haben das Fest im Kalender stehen am 8. Dezember, neun Monate vor dem Fest Mariä Geburt am 8. September. Das Fest und die Glaubenswahrheit sind so alt wie unser christlicher Kalender, die Glaubenswahrheit, dass im erlösten Menschen von Anfang an keine Sekunde zur Werkgerechtigkeit übrig ist, sondern von Anfang an allein die Gnade wirkt. Diese Glaubenswahrheit wurde 1854 noch einmal verkündet, auch damals hochaktuell, als der Mensch im Schwung der Industrialisierung glaubte, sich selbst erlösen zu können. Die Gedenksäule an der Piazza die Spagna in Rom haben viele von uns schon gesehen.
Dazu möchte ich Ihnen zum Abschluss meiner Predigt noch eine Geschichte erzählen. Ein Zufall. "Zufall" ist ein Pseudonym für "Gott". Ich steige in Hannover in den Zug nach Nürnberg und sehe einen freien Platz - neben wem? neben dem emeritierten Landesbischof von Braunschweig, dem Erlanger Professor Gerhard Müller, Vorgänger von Bischof Christian Krause, der jetzt gerade in St. Paul in Rom ist. Bischof Müller lädt mich ein, Platz zu nehmen, und siehe da, auf den anderen beiden Sitzen an seinem Vierertisch finde ich weitere gute Bekannte, die Professoren Slenszka und Heron von Erlangen. Sie kommen von einem ökumenischen Gespräch in Hamburg, ich von einer Marienpredigt im Dom zu Hildesheim. Da war das Gespräch schon lebendig. Altbischof Gerhard Müller erzählt aus seiner Studienzeit. Nach seiner Promotion zum Dr. theol. in Erlangen geht er nach Rom, um dort für seine Habilitation die Vorbereitung des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis 1854 zu studieren. "Im vatikanischen Archiv fand ich viele Briefe und Unterschriftensammlungen, die vor 1854 auf die Verkündigung des Dogmas drängten," sagte Bischof Müller, "und alle kamen aus dem Süden, aus dem Süden Europas, aus dem Süden des Erdballs. Kaum eine Stimme aus dem Norden, oder aus Deutschland. Und wenn ich mir das heute so recht überlege," sagte Müller, "war das ja auch im Norden nicht nötig, da hatte Martin Luther dieses Dogma schon dreihundert Jahre vorher verkündet."
Ich möchte überleiten zu unserem weiteren Beten und Singen in dieser alten Marienkapelle, in dieser ersten evangelischen Pfarrkirche in Regensburg mit dem gläubigen Rechtfertigungs-Gebet von Gerd Tersteegen.

Wie die Blumen willig sich entfalten
und der Sonne stille halten,
lass mich so,
still und froh,
DEINE Strahlen fassen
und DICH wirken lassen.


Dr. Klaus Wyrwoll
Ostengasse 31
D-93047 Regensburg