OKI-Logo Das Erbe der Slawenapostel und ihrer Schüler
in seiner Bedeutung für die Gesamtkirche,
aus katholischer Sicht


1. Das Entstehen einer dritten selbständigen Kraft in Europa

Anlässlich der Feiern zum 1100. Todestag des heiligen Methodius fand im Regensburger Ostkirchlichen Institut in Zusammenarbeit mit der Universität Regensburg ein Internationales Symposium vom 17. - 24. April 1985 statt mit dem Titel "Friede und Einheit den Völkern Europas".

Bei dieser Gelegenheit überreichte die zahlenmäßig größte Delegation aus Bulgarien eine bronzene Gedenktafel mit der Aufschrift "Zum Gedenken an den großen Slawenapostel Methodius und seinen Aufenthalt in Regensburg im Jahre 870, gestiftet von dem dankbaren Bulgarischen Volk 1985". Diese Tafel wurde an der Wand angebracht, die zum Gebäude gehörte, in dem das Gericht über den heiligen Methodius abgehalten wurde und seine ungerechte Verurteilung und dreijährige Klosterhaft (wahrscheinlich auf der Klosterinsel Reichenau im Bodensee, wie neuere Forschungen beweisen) dekretiert wurde. Es standen politische Gründe dahinter.

Sicherlich waren auch politische Gründe entscheidend dafür, dass Fürst Rastislaw nach Großmähren Missionare aus dem weit entfernten Byzanz kommen ließ. Er wollte als Nachbar des immer mächtiger werdenden fränkischen Reiches nicht durch Missionare aus dem fränkisch-germanischen Gebiet auch politisch einverleibt werden. Ähnlich verliefen ja auch die Anfänge der Missionierung der Bulgaren. Zar Boris (852-889) ließ zuerst Missionare aus dem Westen kommen, wohl aus demselben Grunde, um nicht zu sehr in Abhängigkeit zu geraten von dem mächtigen byzantinischen Nachbarn.

Die Slawenapostel und ihre Schüler wollten aber nicht eine byzantinische Expansionspolitik unterstützen, sondern sie wollten im westslawischen Raum eine eigenständige Kirche schaffen. Dass damals die westlich-lateinische Liturgie im slawischen Raum übersetzt wurde und bis heute in der "glagolitischen" Form vorliegt, ist ebenso bezeichnend wie die parallel dazu laufenden Übersetzungstätigkeiten der griechischen Liturgietradition. Der hl. Methodius bemühte sich ja selbst immer wieder um einen Ausgleich zwischen der allmählich immer mehr sich aufspaltenden Christenheit des Ostens und des Westens. Dieses sein Anliegen verstanden auch die Päpste seiner Zeit:

  • Nikolaus I. (858-867), der die beiden Brüder nach Rom einlud,
  • Hadrian II. (867-872), der sie 867 in Rom empfing, und
  • Johannes VIII. (872-882), der den hl. Methodius und seine Gefährten aus der bayerischen Gefangenschaft befreite.

Aber es zeigte sich, dass dieses Grenzgebiet des Westens, in dem Slawen wohnten, doch schon zu stark unter dem politischen Einfluss des fränkischen Reiches stand, wie es ja auch eindeutig zum Jurisdiktionsbereich des weströmischen päpstlichen Gebietes gehörte. Es musste früher oder später doch zum Konflikt mit den Missionaren aus dem Osten kommen. Und das geschah sofort nach dem Tod des hl. Methodius.

Inzwischen hatten sich die Fronten zwischen Ostrom und Westrom immer mehr verhärtet. Grund war vor allem, dass das Westreich neu erstarkte unter der Führung der fränkischen Herrscher, denen der römische Bischof immer mehr Sympathie schenkte (753 Besuch des Papstes bei Pippin und Bitte um Hilfe gegen die Langobarden).

In der Krönung Karls des Großen zum römischen Kaiser (25.12.800) fand diese Entwicklung der Entfremdung und allmählichen Spaltung ihren Höhepunkt. Dazu kam, dass die byzantinische Herrschaft in Italien (Ravenna, Süditalien und Sizilien) durch die Allianz des Papstes mit den Langobarden und Normannen immer mehr zerstört wurde. Zur gleichen Zeit wurde der Bereich der Ostkirche und des oströmischen Reiches immer mehr geschwächt und eingeengt durch den Ansturm der arabischen, persischen und später türkischen muslimischen Invasoren, die sowohl politisch wie auch kulturell und allmählich auch ethnisch das Christentum im ehemaligen Bereich der Ostkirche dezimierten und zum Teil zum Verschwinden brachten.

Der Osten war zusätzlich belastet durch den über 100-jährigen Kampf um die Verehrung der Bilder (730-843). Die Überwindung dieser fast nur im Osten ausgetragenen Kontroverse, dieser "Sieg der Orthodoxie" hatte aber dann das Selbstbewusstsein der Ostkirche neu gestärkt. Durch hervorragende Patriarchen, vor allem durch Patriarch Photius, war danach auch wieder eine aktive Kirchenpolitik nach außen möglich geworden. Darum bemühte sich nun vor allem die Kirche von Byzanz um einen endgültigen Einfluss im Bereich des großen bulgarischen Reiches, so wie umgekehrt auch der römisch-germanisch-lateinische Westen endgültig das Missionswerk unter den Slawen auf dem Gebiet des weströmischen Reiches in seine Hand nehmen wollte.

Die schmachvolle Vertreibung und die unchristliche Behandlung der Schüler des hl. Methodius bleiben immer eine dunkle Seite in der Kirchengeschichte, so wie vorher schon die Verurteilung und Einkerkerung des hl. Methodius. Aber in vielen Verlautbarungen wird auch von westlichen Kirchenführern heutzutage dieses Unrecht bedauert und "aus der Mitte und dem Gedächtnis der Kirche" genommen, was damals an Verdächtigungen und Verleumdungen ausgestreut wurde.

Wenn wir aber tiefer schauen, dann können wir sagen, dass dieser erzwungene Neuanfang der Schüler des hl. Methodius im bulgarischen Großreich ein Werkzeug der göttlichen Vorsehung war. Das großmährische Reich brach unter den Schlägen der Invasion der Ungarn zusammen. Das besondere cyrillo-methodianische Erbe konnte im westslawischen Raum nicht zur Entfaltung kommen, ja es wurde endgültig vom stärkeren politischen und kirchlichen Einfluss des lateinischen Westens überrollt und war bald ganz gelöscht, wie auf den verschiedenen Kongressen und in den Veröffentlichungen zum Leben und Wirken des hl. Methodius immer wieder dargestellt wurde. Die Anfänge einer von Byzanz her beeinflussten Mission unter den heutigen Tschechen und Polen kamen ganz zum Erliegen und wurden später bewusst als "häresis graecorum" ausgemerzt. So wäre auch das Werk und das Erbe des hl. Methodius wohl früh zerstört worden, als durch die Ungarneinfälle in Pannonien und die Ausweitung der fränkischen Macht von Westen her der lateinische Einfluss dort endgültig festgelegt wurde. Dies wäre, so meine ich, der Fall gewesen, wenn auch das Wirken der Schüler des hl. Methodius auf Großmähren und auf Sirmium beschränkt geblieben wäre.

Aber nun konnten die Schüler des hl. Methodius ihr aus Byzanz stammendes Erbe voll verwirklichen im Reich Boris I. und Simeons des Großen (893-927), das ja nicht an den heutigen geographischen Grenzen Bulgariens endete. Der Einfluss Großbulgariens in politischer, kultureller und religiöser Hinsicht wirkte bis hinein in das heutige Rumänien, hinein in weite damals slawisch besiedelte Teile des heutigen Griechenland, in das heutige Makedonien und - darüber später - in die allmählich dem Christentum sich öffnende "Kiewer Rus’".

So konnte sich das cyrillo-methodianische Erbe voll entfalten und entwickeln und sich auf die slawische Welt des Ostens ausweiten, da es durch die Schüler ins damalige Zentrum der slawischen Welt getragen wurde.

Dabei ist zu betonen, dass dieses cyrillo-methodianische Erbe nicht einfach eine Kopie oder nur eine Übersetzung der byzantinisch-griechischen theologischen, liturgischen und kulturellen Tradition ist. Der hl. Methodius hat sich bewusst aus dem damals schon beginnenden Streit zwischen Rom und Byzanz heraus gehalten und auch bei der Übersetzung der byzantinischen Gesetzessammlung (Nomokanon) jede kontrovers stehende Äußerung unterlassen bzw. keine in die Übersetzung aufgenommen.

Damit wurde die Grundlage geschaffen für eine dritte Kraft, einen dritten Kulturkreis innerhalb des nicht mehr in zwei, sondern in drei Komponenten eingeteilten Europa (Europa tripartita et triunita).

2. Die byzantinisch-slawische Welt und die allmähliche Entfremdung von Ost- und Westkirche

Die Frage der Mission unter den Slawen war auch einer der Faktoren der immer stärkeren Kontroverse und Spaltung zwischen dem römisch-fränkischem und dem byzantinisch-griechischem Einflussbereich. Aber auch durch die folgenden Jahrhunderte hindurch blieb der Kontakt zum Westen bestehen, auch nachdem sich das bulgarische Reich endgültig für eine Annahme des Christentums in der Form der byzantinischen Tradition entschieden hatte. Die geographische Nähe zu Byzanz erforderte auch eine gewisse innere und äußere Distanz von dieser politisch und kirchlich immer noch sehr mächtigen oströmischen Metropole. Die durch die altslawische Sprache bedingte liturgische und literarische Selbständigkeit war andrerseits den Griechen nicht immer angenehm.

Die Metropolie von Ochrid stand besonders positiv und vermittelnd im Spannungsfeld zwischen Ost und West. Die verschiedenen Kongresse zum 1100. Todestag des hl. Methodius haben immer wieder herausgestellt, dass das slawisch-byzantinische Christentum eine Vermittlerrolle spielte in dem damals schon gespannten Verhältnis zwischen Ost und West. Das besondere cyrillo-methodianische Erbe hat auch die heutige makedonische Kirche tief geprägt. Noch zu Beginn der Kreuzzüge war das Verhalten der byzantinisch geprägten Slawen den Kreuzfahrern gegenüber positiv. Vor allem standen die Päpste damals wieder in Verbindung mit den kirchlichen Zentren, so vor allem mit Ochrid. Erst als die Kreuzzüge immer mehr zu Raubzügen ausarteten und als immer deutlicher wurde, dass im mittelalterlichen Rom der Jurisdiktionsprimat über die ganze Kirche des Ostens und des Westens auch zur Latinisierung und juridischen Unterstellung der Kirche des Ostens geführt hätte, wurde die innere und äußere Spaltung nachvollzogen, wie sie sich bereits Jahrhunderte vorher zwischen Rom und Byzanz in einem langen Prozess vollzogen hatte.

Als dann die südslawischen Völker unter die Türkenherrschaft kamen (1393-1878), war es selbstverständlich, dass die besondere Beziehung zum Westen nicht mehr zum Tragen kommen konnte. Die Gebiete der Westkirche waren jahrhunderte lang, abgesehen von den ungarischen Ländern, in der Lage, die Türkengefahr an ihren Grenzen zum Stillstand zu bringen, ja man konnte allmählich wieder Stück um Stück zurückerobern. Die Päpste, die ja immer wieder die führenden Herrscher des Westens zum Kampf gegen die Türken ermunterten und selbst große Opfer zur Abwehr der Türken brachten, waren nun auch die politischen Gegner des osmanischen Herrschers, der zugleich oberster Herr auch der christlichen südslawischen Völker war. Es ist darum verständlich, dass jede Kontaktnahme und Beziehung zur Kirche des Westens in den Augen der osmanischen Herrscher zugleich auch Landesverrat und revolutionäre Gesinnung bedeutet hätte.

3. Das cyrillo-methodianische Erbe der slawischen Welt Osteuropas

Auch in der Kiewer Rus’ waren längst vor Großfürst Vladimir schon Missionsversuche sowohl vom Osten als auch vom Westen gemacht worden, zum Teil mit einigem Erfolg. Die Mission von Konstantin-Kyrill bei den Chasaren hatte neben der diplomatischen auch eine missionarische Bedeutung, nicht so sehr für die jüdischen Chasaren als vielmehr für die in ihrer Mitte wohnenden slawischen Bevölkerungsteile. Die bereits mehr als 100 Jahre früher erfolgte Christianisierung des bulgarischen Reiches, das dort aufblühende kulturelle Leben, die "goldene Epoche" theologischer Literatur und Übersetzungstätigkeit konnten nun als Vorbereitung dienen für die Christianisierung der Rus’. Auffallend schnell ist dort eine reiche slawische Literatur vorhanden und eine selbstverständliche Abwendung von der griechischen Liturgie- und Literatursprache. Die reichen Vorarbeiten aus der südslawischen Welt konnten jetzt in eine viel größere Welt einfließen, während im eigenen Land wegen politischer und militärischer Niederlagen eine weitere Entfaltungsmöglichkeit nicht mehr gegeben war.

Als dann die Kiewer Rus’ unter dem Einfall der Tataren zusammenbrach, blieb durch das spätere Erstarken der "Moskauer Rus’" das cyrillo-methodianische Erbe dort erhalten, ja es erfasste den ganzen Osten Europas. In den schweren Zeiten des Türkenjochs konnten nun umgekehrt Bücher aus Russland in die südslawischen Lande gebracht werden. Denn dort wurde von den Türken und später auch von den Phanarioten eine Politik betrieben, die auch die Volkskirche in ihrer slawischen Ausprägung treffen sollte. Die Kirche war ja in der schweren Zeit der Unterdrückung der einzige Hort der nationalen Identität, und die altslawische Liturgiesprache tat dazu ihren besonderen Dienst: Sie war das einigende Band unter den slawischen Völkern.

Die slawischen Völker des Ostens wuchsen unter den Schicksalsschlägen des Tatarenjochs und der osmanischen Beherrschung und unter den ständigen Expansionsgelüsten der westeuropäischen Völker zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen. So kann man zu Beginn der Neuzeit von einer "slawischen Welt" sprechen, die ganz Osteuropa umfasst. Den gemeinsamen Anstrengungen aller, besonders Russlands, war es zu verdanken, dass Ende letzten Jahrhunderts auch Südosteuropa wieder frei wurde von osmanischer Fremdherrschaft. Dies war wie ein Dank und eine Gegenleistung für den Beitrag des slawischen Südosteuropa zur Christianisierung der Rus’ und damit zum Anschluss Russlands an die christliche europäische Völkergemeinschaft.

Bei den wissenschaftlichen Arbeiten und Tagungen in aller Welt zum Gedenken an die tausend Jahre Christentum in Russland wurde besonders dankbar herausgestellt, welch großen Beitrag die slawische Weit vor allem in den letzten 200 Jahren nach Überwindung der tatarischen und osmanischen Herrschaft für die Bildung der heutigen europäischen Kultur und Zivilisation geleistet hat. Es waren die slawischen Völker, zusammen mit dem rumänischen Volk, die das Kulturerbe von Byzanz weiter getragen haben, nachdem Byzanz und die alten Patriarchate des Orients durch die jahrhundertelange islamische Herrschaft fast völlig zerschlagen wurden (Byzance après Byzance) und deshalb auch in Zukunft leider keine besondere Bedeutung mehr haben können. Es bleibt ihnen ja fast nur noch der Primat der Ehre und des apostolischen Ursprungs.

4. Einige Gründe für die Vertiefung der Spaltung zu Beginn der Neuzeit

Das Unionsdekret von Florenz hatte sich im griechischen Bereich kaum ausgewirkt, da schon kurz nach der feierlichen Verkündigung der Unionsbulle (12.12.1452) die Stadt Konstantinopel endgültig in die Hand der Türken fiel (29.5.1453). Der Sultan sah im römischen Papst seinen Hauptgegner, der - wie schon gesagt - die westlichen Staatenlenker immer wieder zur Abwehr aufrief, wodurch letztlich die osmanische Invasion an den Grenzen des Abendlandes zum Stehen gebracht wurde.

Aber in Osteuropa schuf die Unionspolitik große Probleme, als es im polnisch-litauischen und im habsburgischen Einflussbereich zur Unterstellung der bisher orthodoxen Gläubigen unter "unierte" Bischöfe kam.

Das jahrhundertelange friedliche Zusammenleben orthodoxer und katholischer Christen, die vielfache gegenseitige Bereicherung und der gemeinsame Dienst am Heil der Seelen in Gebieten mit orthodoxer, bzw. katholischer Minderheit waren nun zu Ende. An ihre Stelle traten Feindschaft, Verfolgung, Proselytismus, Union und Re-Union, je nach dem Gutdünken der jeweils herrschenden Mächte. Erst zu Beginn der Neuzeit also vollendete sich die Trennung und Abgrenzung des christlichen Ostens gegenüber der Westkirche.

5. Die Anbahnung neuer kirchlicher Beziehungen nach dem II. Vatikanischen Konzil

Im zweiten Vatikanischen Konzil hatte man endgültig Abschied genommen von der spätmittelalterlichen und vor allem der gegenreformatorischen Kirchenauffassung, die sich eine Einheit mit der Ostkirche nur in Form von "Unionen" in totaler Unterwerfung unter die Jurisdiktion des römischen Bischofs vorstellen konnte. Denn seit dem Konzil von Trient hatte man größtenteils die Kirche als eine "societas perfecta" gesehen, die organisiert sein sollte wie ein weltliches monarchisches Staatsgebilde bzw. eine Republik, geeint unter einem einzigen sichtbaren Oberhaupt, dem Bischof von Rom.

Man glaubte darum, nur über den Weg der Union die Einheit mit den Kirchen des Ostens herstellen zu können. Man erreichte auch Teilunionen, besonders im osteuropäischen Raum. Aber die Beziehungen zwischen Orthodoxie und Katholischer Kirche wurden dadurch zunehmend negativer. Das Scheitern der Unionspolitik führte, trotz vielen guten Willens beiderseits, erst zum endgültigen Bruch mit den Kirchen des Ostens.

Die neue Sicht des Vatikanums von der Kirche und ihrer Einheit wurde schon jahrzehntelang vorbereitet durch Erneuerung des philosophischen und theologischen Denkens. Dieses nun wurde wieder entscheidend beeinflusst durch russische Denker. Die Lehre von der "Sobornost" und ihrer konkreten Verwirklichung in der orthodoxen Tradition ging über Chomiakov und dessen Schüler auch in katholisches Denken ein. Besonders auch die Sicht der Kirche als Koinonia: dass die Zugehörigkeit zu ihr nicht durch einfache "Mitgliedschaft" bestimmt wird, sondern durch Stehen in der Koinonia der himmlischen und irdischen Gemeinschaft in Christus, die durch den Heiligen Geist bewirkt wird.

Die "Eucharistische Ekklesiologie" von Nikolaj Afanasijev und seinen Schülern ist zum Teil wörtlich in Definitionen des Vatikanum II eingegangen und auch in die neu gefasste Form des kirchlichen Rechts (can. 369)

Die Lehre von der geschaffenen Weisheit, der "neuen Schöpfung", die zugleich Urschöpfung ist, die das All durchwaltet und die sich in den Büchern der Weisheit des Alten Testaments vor allem deutlich gemacht hat, ist durch große Denker wie Solov'ev und Bulgakov ebenfalls mitbestimmend geworden für eine neue Sicht der Kirche. Die Kirche wird wieder erkannt als Mysterium, erscheint uns personal als "Mutter Kirche" im Bild der Jungfrau und Mutter Maria. Trotzdem manifestiert sie sich in innerweltlichen Erscheinungsformen, die aber nicht ihr ganzes Wesen ausmachen.

Der Blick auf die weltliche Struktur, die auf die Organisation und Aktivität der Katholischen Kirche hatte oft den Zugang zum "Mysterium Kirche" versperrt, wofür orthodoxe Christen besonders empfindlich sind.

6. Das Christentum in Osteuropa: Blick in die Zukunft

Die mehr als tausend Jahre Christentum in Osteuropa haben die Kultur Osteuropas entscheidend geprägt. Sie haben aber auch befruchtend gewirkt auf das gesellschaftliche und kulturelle Leben Gesamteuropas. Werden daraus auch noch geistige und geistliche Impulse für die jetzige, heutige Welt zu erwarten sein?

Die Kirche in Osteuropa hat eine besondere, in der Welt des Glaubens einmalige Erfahrung und damit auch eine besondere Aufgabe für die heutige Zeit.

  • Die meisten gläubigen Christen der so genannten Ostkirchen befanden sich lange Jahrzehnte unter der Herrschaft des Sozialismus-Kommunismus, der der Kirche feindlich gegenüber stand.
  • Auf dem traditionellen Gebiet der Ostkirche befinden sich außerdem heute größere und kleinere Kirchen und kirchliche Gemeinschaften aller anderen (westlichen) christlichen Glaubensbekenntnisse: die katholische und evangelisch-lutherische Kirche, die reformierten Gemeinden, Baptisten und (leider) auch fast alle Sekten, die im Westen entstanden sind.
  • Ebenfalls sind die großen Weltreligionen vertreten: in Makedonien vor allem die Moslem.
  • Im Westen und vielfach auch im Osten hat man größtenteils vergessen, dass Europa geographisch vom Atlantik bis zum Ural reicht, dass es aber kulturell eine Einheit darstellt, die bis Vladivostok am östlichen Ende Sibiriens geht.
  • In Südosteuropa ist die Mehrheit der Bevölkerung orthodoxen Glaubens. Trotz nationaler Spannungen hat das gemeinsame byzantinische Erbe ein Bewusstsein der Solidarität geschaffen, das bis heute ganz Osteuropa prägt.

Aus all diesen Gründen ist Osteuropa in besonderer Weise geeignet zum ökumenischen Dialog und zur Zusammenarbeit der Konfessionen und der Religionen in Europa , aber auch zur geistigen Auseinandersetzung mit dem modernen, säkularen Denken, das, ebenfalls vom Westen beeinflusst, nun auch in Osteuropa und in der gesamten Welt Einfluss nimmt.

Dazu kommen Jahrhunderte lange Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit Fremdherrschaft, Glaubensspaltung und Weltanschauungsdiskussionen.

Ich schließe mit den Worten von Papst Johannes Paul II., der ja die beiden hl. Brüder Kyrill und Method an der Seite des hl. Benedikt zu Schutzpatronen Europas erklärt hat:

"Mit der Verherrlichung der beiden hl. Brüder bringt die ganze Kirche ihnen ihre dankbare Bewunderung für das großartige Evangelisierungswerk zum Ausdruck, das von ihnen durch die Verkündigung des Gottesreiches unter den slawischen Völkern vollbracht wurde ... Ich erneuere den Wunsch, dass durch die gütige Barmherzigkeit der Heiligsten Dreifaltigkeit und durch die Fürsprache der Muttergottes und aller Heiligen alles, was die Kirchen, die Völker und die Nationen trennt, verschwinden möge; dass die Vielheit und Verschiedenheit von Traditionen und Kulturen vielmehr ein Beweis sein mögen für die wechselseitige Ergänzung in dem, was der gemeinsame geistliche Reichtum hervorgebracht hat.

Das Bewusstsein dieses religiösen Reichtums aber, der auf verschiedenen Wegen zum Erbe der einzelnen Völker geworden ist, möge bewirken, dass unsere Generation auf der gebührenden Achtung und Wahrung der Rechte der anderen Nationen und auf der Suche nach Frieden beharre; und sie möge nicht aufhören, sich um du gemeinsame Wohl aller und das Schicksal künftiger Generationen auf der ganzen Erde zu kümmern". (Egregiae virtutis Nr. 4).

Dr. Albert Rauch
Direktor des
Regensburger
Ostkirchlichen Instituts