OKI-Logo Vortrag Rotary Regensburg:
"Fronleichnam - Fête-Dieu
oder Flurprozession?"

 

Ich erinnere mich an die Philosophie-Vorlesung über die Vier-Ohren-Theorie des Hamburger Psychologen Friedemann Schulz von Thun: jede Mitteilung ist Manipulation, wird von vier Ohren gehört, vom

  1. Sach-Ohr
  2. Beziehungs-Ohr
  3. Selbstmitteilungs-Ohr
  4. Apell-Ohr

Als Beispiel: das Ehepaar ist im Auto, sie ist am Steuer, der Wagen hält an der Ampel, die Ampel springt auf grün, sie fährt nicht sofort los, der Ehemann sagt GRÜN IST!

  1. Sach-Ohr = grün ist
  2. Beziehungs-Ohr = ich bin der Chef
  3. Selbstmitteilungs-Ohr = ich kann's besser
  4. Apell-Ohr = fahr endlich los!

Ihr Sach-Ohr hat gehört: Fronleichnam - Fête-Dieu oder Flurprozession?
Das Beziehungsohr hört: etwas frommes, etwas kirchliches!
Das ist mein Problem. Die Fronleichnamsprozession ist nichts kirchliches im modernen Sinn des Wortes, sondern weltlich im alten Sinn des Wortes weltlich "durch Dein heiliges Kreuz hast Du die ganze Welt erlöst".
Wenn ich vor 200 Jahren diesen kleinen Vortrag begonnen hätte, hätten die Hörer das ganz anders aufgefasst. Das Beziehungsohr hätte gehört: die Bürger Regensburgs schauen alle vier Enden der Stadt und der Felder an und machen sich bewusst, dass alles unter einer höheren Macht steht, hören die Verheißungen der Bibel. "Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu". Oder gestern in der MZ eine Frau in Frankfurt/Oder: "ich bin wahrhaftig nicht gläubig, aber ich bete jeden Tag im Blick auf das Hochwasser".

Darum waren auch bei der Fronleichnamsprozession die Evangelischen Bürger und die Katholiken beisammen. Freund Schrüfer Domprediger berichtet in seiner Arbeit über die Domprediger, dass die Evangelischen in Festtagskleider am Prozessionsweg standen und ihre Häuser ebenso geschmückt waren wie die der Katholiken. So ist es heute auch im Norden, z.B. in Hildesheim.

Wenn ich vor 200 Jahren den Vortrag begonnen hätten, hätten sich die Zuhörer gefragt "was soll das 'oder'?" Fête-Dieu oder Flurprozession? das ist es doch gerade: wir gehen durch die Fluren, um uns bewusst zu werden, dass alles unter der Ordnung eines Höheren steht, die Bibel sagt "unter Gott", die Aufklärung sagt Schicksal, Moral… und wir stehen in der Verantwortung vor diesem Höheren. Wenn ich diesen Vortrag in meinem früheren Rotaryclub Hannover Ballhorn gehalten hätte, hätte ich statt Flurprozession gesagt "Schützen-Umzug".
Unsere Verfassung der Bundesrepublik Deutschland hat das noch in der Präambel im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen… hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.
Die Debatte um einen Gottesbezug in der Verfassung der EU hat gezeigt, dass es uns heute sehr schwer fällt, uns die Fronleichnamsprozession oder den Schützenumzug als weltlich im alten Sinne vorzustellen. Denn seit dem 1. Weltkrieg haben wir diese eigenartige Trennung von Staat und Kirche. Der Staat erwartet von den Bürgern ein moralisches Wohlverhalten, aber die geistige geistliche Zurüstung zu diesem Wohlverhalten soll Privatsache sein, nicht mehr Anliegen des Staates.

Das war bis zum 1. Weltkrieg in Deutschland anders. Ich erinnere mich gern an die große Predigt von Freund Schoenauer "Als Regensburg noch christlich war" und der Stadtrat sich darum sorgte, dass die Menschen beteten, auf Gott schauten und so Kraft fanden zum friedlichen Zusammenleben. Wie lange ist das her? gar nicht lange her. 85 Jahre - und doch meinen die heutigen Staatslenker, nur 85 Jahre nach dem 1. Weltkrieg genau das Gegenteil, meinen auf Gottesbezug in der Verfassung verzichten zu können, heute erklärt der Staat Religion zur Privatsache, erwartet aber vom Bürger ein selbstloses, rücksichtsvolles Verhalten voller Verantwortungsbewusstsein für die Gesellschaft und für den Staat - Verantwortungsbewusstsein kann der Mensch aber nicht aus sich selbst haben, das kann nur der religiöse Mensch, ob er sich nun katholisch nennt oder Christ oder gottgläubig nennt oder sich auf Gott bezieht, in dem er sich A-Theist nennt. Böckenfördes Feststellung war vor 200 Jahren nicht nötig: "Der Staatsbürgerstatus ist gewissermaßen in eine Zivilgesellschaft eingebettet, die aus spontanen… vorpolitischen Quellen lebt."

"Was die Religion dazu beiträgt, ethische Fundamente im Bewusstsein der Menschen zu verankern, muss man ernst nehmen" war die Quintessenz der Rede Habermas' in der Frankfurter Buchmesse - und ist das, was bei den Kyrill und Method Lesungen im Osten um den 24. Mai bei den Menschen hängen bleibt.

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde: Der freiheitliche Staat lebt von Vorausssetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Ähnliches sagte bei den Alpbacher Gesprächen 2002 die Wiener Ethikerin Ingeborg Gabriel für die Wirtschaft: die Wirtschaft ruht auf einem unsichtbaren Sockel moralischer Ressourcen, die ihr Funktionieren erst ermöglichen; sie kann diesen Sockel nicht selbst schaffen, sondern ist dafür auf die moralgenerative Kraft der Kirchen und Religionsgemeinschaften angewiesen.
Der moderne Staat ist konstitutiv arm, schwach und ohnmächtig, darauf angewiesen, dass ihm die ethischen Voraussetzungen von außen zukommen. Vor 200 Jahren war der Staat noch reich, stark und mächtig, offiziell religiös, die jüdischen Bürger machten mit bei der Vermittlung von Werten durch Gottesdienste, Prozessionen, Channukka und Laubhüttenfest.

Der Kaiser sorgte als summus episcopus für die Einheit der Kirche, der bayerische König durch Ernennung der katholischen Bischöfe und der evangelischen Superintendenten und der Domkapitulare. Im Sinne des Kaisers oder König Ludwigs oder Putins ist unser Mittagsgebet auch eine weltliche Veranstaltung, Freund Bassermann hatte sich sogar entschlossen teilzunehmen, weil die Psalmen ja der jüdischen Bibel entstammen. Die jüdische Frömmigkeit drückt es so aus: das biologische Leben auf Erden ist die Gegenwart Gottes unter uns.

Unser Mittagsgebet hat das Motto, das auch über die Fronleichnamsprozession passt. Das Motto ist der Brief des Jeremias an die Verbannten in Babylon. "Betet für das Wohl der Stadt, in die der Herr Euch geführt hat". in die der Herr Euch geführt hat Dieses Wort an die elend weggeführten Juden, die geknechteten Verbannten in Babylon musste wie ein Hohn in ihren Ohren klingen, wie in unseren Ohren, wenn wir heute hören würden "Betet für den Missbrauchskandal, in den der Herr Euch geführt hat". Oder "Betet für die Eurokrise, in die der Herr Euch geführt hat". "Betet für… " - das ist das Motto der Fronleichnamsprozession und der Flurprozession und des Schützen-Umzugs.
In Niedersachsen gehen die evangelischen Pastoren bei der Fronleichnamsprozession mit, der katholische Pfarrer trägt die Monstranz mit der Hostie, der evangelische Pfarrer das Evangelienbuch oder die Bibel. Die grünen Bäumchen werden in den evangelischen Kirchen zu Pfingsten aufgestellt, in den katholischen zu Fronleichnam.

Die Fronleichnamsprozession ist der kürzeste Pilgerweg der evangelische (und katholischen) Christen in Niedersachsen. Nach dem Beispiel der norwegischen Kirchen, in denen die Prozessionen nie aufgehört haben, entstehen Prozessionswege, Pilgerwege in Niedersachsen. z.B. der Auferstehungsweg.
Sie kennen alle den Kreuzweg, vierzehn Stationen des Leidens und des Sterbens Christi von der Verurteilung durch Pilatus bis zum Tod am Kreuz. Als Kooperationsprojekt der Fachgebiete "Missionarische Dienste" und "Kirche im Tourismus" hat das Haus kirchlicher Dienste der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers 4,2 km Auferstehungsweg zwischen Hanstedt und Ebstorf, Dreizehn Stationen von "Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen" bis Pfingsten und Apg 3,1 "Steh auf, nimm Dein Bett und geh!"
Die längeren Pilgerwege sind ebenfalls neu entdeckt und ausgeschildert und beschrieben und begleitet.
Da ist seit 2007 der Jakobusweg Lüneburger Heide von Hittfeld nach Soltau. (www.pilgern-celle.de)
Der Jakobsweg via Baltica, 700 Kilometer von Usedom bis Osnabrück. (www.jakobswege-norddeutschland.de)
Der Pilgerweg vom Zisterzienserkloster Loccum zum Zisterzienserkloster Volkenroda 300 km (www.pilgerprojekt.de)
Und seit ein paar Wochen auch von Volkenroda nach Waldsassen, Waldsassen wurde von Volkenroda gegründet, 330 km. Das sind alte Zisterzienserpfade.
Wir haben die Zisterzienser nicht im Gedächtnis wegen ihrer Gottesdienste, sondern wegen ihrer kulturellen und zivilisatorischen Leistungen, in Landwirtschaft, Schule, Musik, Architektur. Sie arbeiteten, um die frohe Botschaft des Kreuzes Christi fruchbar zu machen, das irdische Zusammenleben produktiv ermöglichen. Der Gedanke, der hinter der Einführung des Fronleichnamsfestes stand vor 800 Jahren. Und gilt für die Prozession, die die bulgarische orthodoxe Gemeinde Regensburg am Pfingstmontag vom Peterskirchlein am Bahnhof zur Marmortafel an der Basilika zur Alten Kapelle gehalten hat anlässlich des Festes von Kyrill und Method. Und sicher auch hinter dem feierlichen Einzug von König Ludwig auf den Domplatz.
Gott also nicht als ferne Größe, sondern - nach Paulus "in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir" - "nicht mehr ich lebe, sondern in mir lebt Christus". Rom 8,23 pro nobis omnibus tradidit illum: quo modo non etiam cum illo omnia nos donavit? 39: nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes…
Das muss man bei der Fronleichnamsprozession nicht im Kopf haben. Es ist der Hintergrund, oft unbewusst.
Heute schwierig, weil die Fronleichnamsprozession in dieser neuen Trennung von Staat und Kirche immer mehr als kirchlich gesehen wird, und immer weniger Leute in diesem Sinne kirchlich sein wollen. Vor einigen Jahren standen in Würzburg die katholischen Theologiestudenten am Prozessionsweg Fronleichnam mit einem großen Plakat, auf dem der Prophet Amos zitiert war: Euer Geplärre stört mich und euer Opfer stinken mir. In Regensburg gingen einige Theologiestudenten mit bei der Fronleichnamsprozession, aber der Dekan der Theologischen Fakultät Joseph Ratzinger stand am Straßenrand - allerdings ohne Plakat.

Nun noch etwas zur Geschichte der Fronleichnams-Prozession, wie sie nächsten Donnerstag durch Regensburg ziehen wird. Prozessionen gab es schon immer und in allen Kirchen und Religionen. Im Jahre 1246 im Bistum Lüttich zum ersten Mal in dieser Verbindung von Leib Christi - wer mein Fleisch isst - im eucharistischen Brot und dem täglichen Leben. Die gute Idee hatte wie so oft eine Frau, Juliana von Lüttich, aus dem Augustinerorden wie später Martin Luther. Sie starb 1258. Ihr war deutlich geworden,dass der Gedanke an die Einsetzung des Abendmahles am Gründonnerstag die Menschen ablenken könnte in mystische Höhen. Dabei ist dies Brot doch Christi Leib für das Leben der Welt, ganz konkret.
Am Gründonnerstag ist nicht genügend Zeit, darüber nachzudenken, die Gedanken und Gebete sind Gründonnerstag auf Leiden und Kreuz Christi konzentriert. Aber nach den vielen Festen im Gedanken an das irdische Leben Christi von der Verkündigung über Weihnachten und Fastenzeit und Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten war Zeit, über die konkreten Wirkungen dieser himmlischen Speise im irdischen Leben nachzudenken. Zehn Tage nach Pfingsten am ersten freien Donnerstag - in Anknüpfung andie zehn Tage zwischen Himmelfahrt und Pfingsten ein Fest in der Gegenrichtung, nicht Auffahrt, sondern Niederfahrt in die konkreten Gegebenheiten unsers Lebens.
1264 fanden in Rom, Münster, Orvieto die ersten Fronleichnamsfeiern statt, 1273 in Benediktbeuern, 1274 in Köln, 1276 in Osnabrück. Unsere Religion ist nicht eine Religion für fromme Stunden, sondern für das Zusammenleben der Menschen. Das eucharistische Brot, die Hostie, die Oblate in der Form der kleinen Sonne wird in einem Zeigegerät Monstranz getragen, wir schauen mit ihr auf die Straßen der Stadt, die Häuser, Werkstätten, Geschäfte, Wirtshäuser, auf die Gärtenund Felder, in alle vier Himmelsrichtungen geht die Prozession, in jede Himmelsrichtung wird ein Stück aus dem Evangelium gelesen und das Kreuzzeichen feierlich über all die Lebenswirklichkeiten gemacht, die man so sieht.
1Kor 3,9: Ihr seid Gottes Ackerfeld. Dei agricultura estis.
Wie immer gibt es dann Missbräuche und Verzweckungen. Weil gerade diese Prozession, die Fronleichnamsprozession so viele Mensch zusammenbrachte, war sie besonders geeignet zum Verkauf von Ablassbriefen, zur Bezahlung der Kriege und Ländereien der Fürsten und Bischöfe. Kein Wunder also, dass die geistlichen Bewegungen wie die Kapuziner und die Jesuiten gegen die Prozessionen wetterten. Uns ist am besten in Erinnerung, dass der Reformator Martin Luther ein ausdrücklicher Gegner des Fronleichnamsfestes war, er bezeichnete es 1527 als das schädlichste aller Feste.
Das Konzil von Trient hat das Fest vom Ablasshandel befreit, aber es wurde im Römischen Reich deutscher Nationzu einer Demonstration des katholischen Glaubens. Die evangelischen Bauern brachten ihren Mist genau an Fronleichnam auf ihren Feldern aus, wenn die Katholiken mit der Prozession in die Nähe kamen. Die katholischen Bauern rächten sich dann am Karfreitag. Gleichzeitig aber ging die Prozession auch in den evangelischen Gegenden weiter: die Tage der Schützenprüfungen und der Waffenkontrolle bekamen feierliche Umzüge des Schützenkönigs mit Festwagen der einzelnen Gruppierungen, Zünfte, Bruderschaften. Das Schützenfest in Hannover ist das größte der Welt und von einer Fronleichnamsprozession in einer großen südlichen Stadt nur zu unterscheiden durch die fehlenden Gebete. Die wichtigen Gedanken werden beim Schützenumzug in Zusprüchen und Festreden formuliert anstatt in Gebeten. Die Musik bleibt bei beiden Formen eine wichtige Grundlage der Gemeinsamkeit der Gefühle und Bewegungen.
Und wenn genügend Katholiken im Stadtteil sind, gibt es auch noch eine Fronleichnamsprozession. In Hannover jetzt wieder eine gemeinsame.
Wo man nicht nur zu Fuß ging, sondern viel im Boot fahren muss, gibt es die Fronleichnamsprozessionen mit Schiff, am Chiemsee, am Staffelsee bei Murnau, die Mühlheimer Gottestracht in Köln.
Zurück zum Titel "Fête-Dieu oder Flurprozession?", Fête-Dieu heißt das Fronleichnamsfest in Frankreich, Corpus Christi in Italien. Wir sind alle Pilger, unser Leben ist ein Weg, das Ziehen durch die Jahre und durch die Länder, aber "in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir". Martin Luther übersetzt. Einerseits ist eine Prozession durch die Fluren Gelegenheit, über den eigenen Weg nachzudenken, also Symbol für unseren Weg. Im lutherischen Gottesdienstbereich im Norden Deutschlands zieht man an Christi Himmelfahrt zu einem Gottesdienst ins Freie, ins Grüne.
Andererseits ist so ein Weg außerhalb des Gotteshauses, des fanum, also pro-fan. Gelegenheit, über die Gegenwart Gottes in allem und in allen nachzudenken.
Hier im Süden heißt der Fronleichnamstag auch Prangertag, Blutstag, Gotstag, Herrgottstag. Im Niederländischen hat sich die Bedeutung lebender Körper für das Wort lichaam erhalten, lichaamlos = körperlos. Im Deutschen ist lichaam Leichnam nur für den toten Körper erhalten geblieben.
Fro - der germanische Name für Herr, für die Männer abgelöst durch den Gebrauch der Römer, "Alter" zu sagen,"Hehr" - für die weibliche Bevölkerung hat sich das alte germanische Froe Frau erhalten. Frondienst ist Herrendienst.
Also ich wünsche allen ein frohes Fronleichnamsfest. Froh = herrlich, so glücklich froh fühlt sich ein Fro, ein Herr.