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Katholischer Theologe erhielt Ehrendoktor
an orthodoxer Fakultät

Das Institut für Ökumenische Studien (ISO) der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg arbeitet seit Jahren eng mit dem Ostkirchlichen Institut in Regensburg (OKI) zusammen. Kürzlich (Februar 1999) wurde Monsignore Dr. Nikolaus Wyrwoll, einem der beiden Direktoren des Ostkirchlichen Instituts, der Ehrendoktor der Theologischen Fakultät der Freien Europäischen Humanistischen Universität in Minsk, Weißrussland, verliehen. Aus diesem Anlass entstand das folgende Interview.

ISO: Herr Dr. Wyrwoll, zunächst gratulieren wir Ihnen herzlich zu der Verleihung des Ehrendoktors in Minsk. In den Medien hört man fast ausschließlich von einer antiökumenischen, speziell antikatholischen Haltung der orthodoxen Kirche. Wie ist das mit der Ihnen zugesprochenen Ehrung zu vereinbaren?

Wyrwoll: Die Spannungen zwischen der Kirche des Ostens und der Kirche des Westens sind so alt wie die Kirche selbst. Bereits im Jahre 140 kam es zu gegenseitigen Exkommunikationen, weil man sich über das Datum des Osterfestes nicht einigen konnte. Dennoch ging die gegenseitige Anerkennung als Schwesterkirchen nie vollständig verloren, und sie wurde durch das II. Vatikanische Konzil wieder deutlich bestätigt. Schon deswegen ist es nicht ganz richtig, von der Orthodoxen und von der Römisch-katholischen Kirche wie von verschiedenen Konfessionen zu sprechen, wie wir dies für die Anglikaner, Reformierten, Lutheraner etc. tun.

ISO: Wie kam die Theologische Fakultät in Minsk auf die Idee, den Ehrendoktor an Sie als katholischen Theologen zu verleihen?

Wyrwoll: Trotz der Spannungen zwischen Ost und West haben z.B. die Dominikaner, die Franziskaner und die Jesuiten bis ins 19. Jahrhundert sich ebenso den orthodoxen Bischöfen unterstellt, wie sie in katholischen Bistümern im Westen ihren Dienst taten. Im 20. Jahrhundert haben einige katholische Theologen des Westens einen orthodoxen Dr. h.c. erhalten, z.B. Wilhelm Nyssen in Bukarest - und umgekehrt, etwa Metropolit Damaskinos der Schweiz an der katholischen Fakultät in Bonn 1986.
Die Urkunde des Ehrendoktorats nennt als Begründung die "Förderung der Theologie, der ökumenischen Beziehungen und den Friedensdienst". Seit 1960 setze ich mich dafür ein, dass orthodoxe Studierende an katholischen Theologischen Fakultäten akademische Grade erwerben können und dass sie dafür Stipendien erhalten. Seit 1976 begleite ich aus der Nähe die orthodoxen Studenten und Studentinnen, die im Ostkirchlichen Institut in Regensburg im Auftrag ihrer eigenen Bischöfe eine Spezialisierung erwerben, die sie dann in den Dienst ihrer Heimatkirche stellen können. Darunter sind Absolventen der Fakultät Minsk und ihr junger Professor Dr. Andrej Danilov, der gerade mit höchster Auszeichnung an der philosophischen Fakultät in Regensburg einen zweiten Doktortitel erworben hat.
Ihre Frage bringt mich darauf, dass der Dekan der Minsker Fakultät, Metropolit Filaret, in seinem Grußwort ausdrücklich seine Bischofskollegen erwähnte. Vielleicht haben sie sich ja abgesprochen, dass die Fakultät in Minsk die jahrzehntelange Arbeit des OKI mit einem Ehrendoktor anerkennt.

ISO: Weshalb fiel die Wahl Ihrer Meinung nach auf Minsk?

Wyrwoll: Die Theologische Fakultät in Minsk ist Teil einer nach der Wende gegründeten Freien Universität. Sie ist also weder staatlich wie die orthodoxen Fakultäten in Griechenland noch rein kirchlich wie die Fakultäten in der russischen Föderation. Die junge Universität hat viele Kontakte mit dem Westen - und stößt dabei immer wieder auf Verwunderung, dass sie so etwas "Überholtes" und "Altmodisches" wie eine Theologische Fakultät in ihre akademische Struktur aufgenommen hat. Deshalb ist die Theologische Fakultät interessiert an eigenen Kontakten mit denjenigen im Westen, die das Reden von Gott für einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben halten. Ich freue mich zu hören, dass das Ökumenische Institut in Fribourg seine Bereitschaft zu einer künftigen Zusammenarbeit mit der Theologischen Fakultät in Minsk bekundet hat.
In Minsk haben in den letzten Jahren viele west-östliche kirchliche und theologische Begegnungen stattgefunden. Der Zusammenbruch der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung in der russischen Föderation hat dazu geführt, dass in der Suche nach einer neuen Identität vielfach auch in der Kirche Orthodoxie und russische Tradition in unangemessener Weise verknüpft werden. Alles Westliche - auch die ökumenischen Beziehungen - erscheint dann als Gefahr für die eigene Identität. Minsk und Weißrussland haben eine jahrhundertelange Erfahrung mit Wechseln zwischen östlicher und westlicher Tradition sowohl im staatlichen als auch im kirchlichen Bereich und tun sich deshalb mit einem interkulturellen Austausch leichter.

ISO: Sie sind ein lebendiger Gegenbeweis gegen die Klischeevorstellungen über die Orthodoxie. Wenn wir von Ihren langjährigen Erfahrungen hören und Ihre differenzierten Urteile zur Kenntnis nehmen, dann fragen wir uns: Wieso hört man bei uns eigentlich fast ausschließlich Negatives über die Orthodoxie?

Wyrwoll: Das ist wohl eher eine Frage der Medienpraxis und der Kommunikationstheorie als eine Frage der Theologie und des kirchlichen Lebens. Sicher enthält die gegenwärtige Haltung der Orthodoxie eine deutliche Kritik an der westlichen Zivilisation. Diese Abgrenzung beruht nicht selten eher auf einer unterschwelligen Ahnung als auf rational formulierten Argumenten. Aber wächst nicht auch im Westen das Unwohlsein gegenüber einer Zivilisation, die mehr an Leistung, Gewinn und Fortschritt orientiert ist als an wirklich menschlichen und sozialen Werten? Könnte also die Abwehr der orthodoxen Kritik am Westen nicht die Verweigerung einer höchst dringlichen Selbstkritik des Westens sein?

ISO: Welche Bilanz ziehen Sie nach fast 40 Jahren im Dienst der Orthodoxie? Kommt Ihnen diese Aufgabe nicht vor wie eine Beschäftigung mit einem zwar sehr reizvollen, aber doch irgendwie "rückständigen" und im Zuge der jetzt im Osten einsetzenden Modernisierung überholten Modell von Christsein?

Wyrwoll: Als westliche Christen können wir von unseren östlichen Schwestern und Brüdern gerade heute, an der Schwelle zum dritten Jahrtausend, viel lernen. Wir müssen uns allerdings gegenseitig helfen, uns in einer Sprache auszudrücken, die der jeweils andere auch verstehen kann. Die "Modernisierung" der katholischen Kirche durch das II. Vatikanische Konzil erfolgte nicht selten unter orthodoxem Einfluss. So wurde z.B. die Volkssprache in der Liturgie, die Diakonenweihe für verheiratete Männer, die stärkere Aufmerksamkeit für das Wirken des Heiligen Geistes in der Liturgie ("Epiklese") und im gesamten Leben der Kirche aus der orthodoxen Erfahrung übernommen. 1973 hat Papst Paul VI. für die Firmung die orthodoxe Spendeformel eingeführt, weil sie nicht den Bischof als Firmspender, sondern den Heiligen Geist selbst ins Zentrum stellt und so dem modernen Glaubensbewusstsein besser gerecht wird. Theologen unseres Jahrhunderts wie Yves Congar o.p., Hans Urs von Balthasar und Henri de Lubac SJ haben in der Rückschau auf ihr Leben betont, wie viel sie russischen orthodoxen Theologen für die Erneuerung der westlichen Theologie verdanken, z.B. Sergij Bulgakov, der 1923 aus Russland ausgewiesen wurde und seitdem an der Orthodoxen Theologischen Hochschule St. Serge in Paris wirkte. Als sich im 18. Jahrhundert Ost und West wieder einmal "exkommunizierten", hat die Russische Orthodoxe Kirche gegen alle anderen daran festgehalten, dass Katholiken nicht wiedergetauft werden, sondern nur das Glaubensbekenntnis sprechen müssen, um ganz in die Orthodoxe Kirche integriert zu sein. Das ist doch alles andere als "rückständig"!

ISO: Welche Bedeutung hat diese Ehrendoktorverleihung für die Zukunft der Ökumene mit der Orthodoxie? Wie kann es Ihrer Meinung nach weitergehen?

Wyrwoll: Die Ehrung ist hoffentlich ein Schritt auf dem Weg zur Sichtbarmachung der Einheit, die zwischen der Kirche des Ostens und des Westens längst gegeben ist. Die Medieninformation über diesen Dr. h.c. sollte dazu dienen, dass die Realität klarer gesehen wird. Ein solches Ereignis ist vielleicht auch ein Gegengewicht gegen den Missionierungseifer mancher westlicher Christen, die eine Re-Evangelisierung der postkommunistischen Länder ohne Kontakt mit der orthodoxen Kirche versuchen oder sogar gegen sie. Für diesen Bereich gibt es übrigens hervorragende praktische Richtlinien aus Rom, die leider weitgehend unbekannt sind wie vieles andere Positive zwischen Ost und West. Es handelt sich um die "Allgemeinen Prinzipien und praktische Normen für die Koordinierung der Evangelisierung und des ökumenischen Engagements der katholischen Kirche in Russland und in den anderen Ländern der GUS" vom 1. Juni 1992.

ISO: Unser Institut für Ökumenische Studien begeht demnächst das Jubiläum "100 Jahre Ostkirchenkunde an der Universität Fribourg". Welchen Stellenwert hat Ihrer Meinung nach die theologische Ausbildung im ökumenischen Dialog mit der Orthodoxie?

Wyrwoll: Ihr Ökumenisches Institut sorgt dafür, dass "Ökumene" nicht ein Orchideenfach der Theologie ist, sondern eine durchgängige Komponente in allen theologischen Disziplinen. Gerade in Bezug auf den Osten kann auf diese Weise deutlich werden, dass es legitimerweise verschiedene Theologien gibt, deren Unterschiede nicht als Vorwand für eine Kirchenspaltung missbraucht werden dürften. An der Orthodoxen Theologischen Fakultät in Minsk wird z.B. die westliche Kirchen- und Dogmengeschichte von einem katholischen Ordensmann gelesen. Ich könnte mir vorstellen, dass an Ihrem Institut ein orthodoxer Professor nicht nur östliche Theologie und Kirchengeschichte lehrt, sondern Christologie oder ein anderes "normales" theologisches Unterrichtsfach.

ISO: Was können interessierte Christen außerhalb des akademischen Bereichs tun, um sich besser über die orthodoxe Kirche zu informieren?

Wyrwoll: Ich empfehle, die Gottesdienste der orthodoxen Gemeinden und Gemeinschaften zu besuchen, die es in der Schweiz zahlreich gibt, z.B. der Rumänischen, Serbischen, Griechischen, Russischen, Syrischen Orthodoxen Kirche sowie der Armenischen Apostolischen Kirche. Eine gute Möglichkeit sind Studienfahrten in die orthodoxen Zentren wie Thessaloniki, İstanbul, Moskau.

Weitere Informationen, auch über die Akademische Feier "100 Jahre Ostkirchenkunde an der Universität Fribourg" am 17. April 1999, 10-19 Uhr, im Senatssaal der Universität Fribourg, sowie über eine Pilger- und Studienreise des ISO nach Russland (St. Petersburg, Novgorod, Moskau) vom 2.-9. Oktober 1999, sind zu erhalten bei: Institut für Ökumenische Studien, Prof. Barbara Hallensleben, Universität Miséricorde, 1700 Fribourg, Tel. 026 / 300 74 10; Fax: 300 97 83; E-mail: Barbara.Hallensleben@unifr.ch; vgl. http://www.unifr.ch/iso/