Jürgen Kuhlmann

Auch ein "Klein-gläubiges" Leben

 

 

1936 an der Ostsee geboren, kam ich 1936 ins Benediktinergymnasium St. Stephan in Augsburg. Dort schon Mitglied der Marianischen Kongregation, schloss ich mich in München der Studenten-MC an. P. Mariaux SJ, ihr Leiter, legte mir das Theologiestudium nahe, dessen Themen interessierten mich brennender als Erbrecht. Im Herbst 1956 schickte der Bamberger Regens Ernst Schmitt, selbst Altgermaniker, mich zum Weiterstudium nach Rom.

Dankbar bin ich für fünf Jahre unter dem Einfluss von Pater Klein. Im Gegensatz zu manchen Mitstudenten, die seine Art ablehnten, gehöre ich zu den "Kleingläubigen". Die Vieldeutigkeit alles Gesprochenen und die Verehrung der Reinen Schöpfung Maria-Sophia prägen bis heute mein Glaubensdenken. Wie vereinbart sich beides? Eindeutig ist auch Maria nur einem vieldimensional-vernünftigen Glauben, keineswegs dem Wissen. Wo sie wissen wollen, streiten sich um sie auch die christlichen Konfessionen.

Drei Tage vor dem Beginn des Konzils am 10. Oktober 1962 empfing ich die Priesterweihe, während der Litanei lag ich kraft des Alphabets neben Kurt Krenn. Im Schlussexamen über hundert Thesen fiel ich beim ersten Versuch im Sommer 1963 durch; in jener kirchenpolitisch so aufgeladenen Zeit hätte ich nicht zweifeln sollen, ob Jesus die Kirche gegründet hat. Die Wiederholung im Herbst gelang. Die Dissertation über den Athosmönch und Ostkirchenheiligen Gregor Palamas beschäftigte mich weitere zwei Jahre; von vier ausgearbeiteten Teilen wurde der erste - ideenhistorische - von der Gregoriana schließlich angenommen, nachdem ich eine erläuternde Fußnote nachgereicht hatte, die orthodoxe Ostkirche sei selbstverständlich Kirche nur in analogem Sinn.

Im September 1965 trat ich meine erste Kaplanstelle in Naila/Oberfranken an, in einer protestantischen Gegend nahe der Zonengrenze. 14 Monate später wurde ich nach Nürnberg versetzt, als Kaplan in Herz Jesu. Fünf Jahre nach meiner Priesterweihe hielt Pater Klein für einige unseres Jahrgangs Exerzitien in Bonn. Was ich 1967 mitschrieb, gehört zu seinen reifsten Vermächtnissen.

Inzwischen in St. Elisabeth, lernte ich die spanische Lehrerin Mila Ortuño Molins kennen, sie erteilte muttersprachlichen Unterricht für Gastarbeiterkinder. Im September 1972 heirateten wir standesamtlich mittels erschlichener (noch herrschte Franco) "Traubereitschaftserklärung" der spanischen Pfarrei. Im kommenden Frühjahr traf aus Rom die Dispens ein. Im Juni 1973 wurde Tomas geboren, im Oktober 1974 Simone.

Nach kurzer Mitarbeit im städtischen Jugendzentrum "KOMM" begann ich meinen neuen Beruf als Berufsberater für Abiturienten und Hochschüler. Obwohl (besser: weil) Josef Stingl, der Chef der Bundesanstalt, aktiver Katholik war, hat er zahlreichen Priestern ohne Amt eine neue Chance geboten, nicht zum Schaden der uns anbefohlenen jungen Menschen. Auf eine besorgte Anfrage seitens der Deutschen Bischofskonferenz soll er geantwortet haben, er dürfe seinem Gewissen vertrauen.

Als ich Pater Klein in Bonn meinen neuen Beruf mitteilte, meinte er schmunzelnd: So, Berufsberater bist du jetzt - da bist du ja auch ein Spiritual. Er forderte mich auf, bei der Weltkonferenz der Religionen für den Frieden mitzuarbeiten, das sei eine der wichtigsten geistlichen Bewegungen unserer Zeit. Pfingstliche Buntheit hatte mich schon als Kind begeistert. Als ich im sonnenhellen Zimmer mit dem Stöpsel einer Karaffe spielte, tanzte plötzlich ein bunter Fleck an der Wand. Deshalb nannte eine Nürnberger ökumenische Gruppe um 1970 sich "Prisma". Zwar ist jene Miniquelle damals bald versandet, ihr Lebensprinzip und Ritus könnten aber, wenn SIE will, einmal auch einen Strom bereichern.

1978-82 kamen Bettina, Peter Gilbert und Iris auf die Welt. Bei der Mainzer Gründungsversammlung der deutschen Sektion von WCRP lernte ich im September 1988 Johannes Lähnemann kennen; ihm vor allem ist der Aufbau einer aktiven Nürnberger Gruppe zu danken. In ihr wurden mir wertvolle Freundschaften mit Muslimen und Bahais geschenkt, aus ihnen erwuchs allmählich das ökumenische Leitbild "Etappen der Großen Liebesgeschichte". Jede Weltreligion ist eine ihrer Etappen. Dargestellt wird dieser Glaube für das neue Jahrtausend im gedruckten Buch von 2001, einem Abriss von 2006, der Radio-Sendung und jetzt dem Online-Buch von 2007.

Beim WCRP-Treffen in Mainz war ich auch dem ZDF-Redakteur Gottfried Edel begegnet. Er bot mir an, bei einem Sammelwerk mit Predigthilfen mitzuwirken. Diese gut bezahlte Arbeit brachte uns während drückendster Haus-Schulden Erleichterung, auch füllte sich so der erste meiner Predigtkörbe im Internet. Auf den zweiten (ab 2001) folgt seit 2007 der dritte mit Impulsen zur Lesung. Seit Oktober 2001 bin ich Rentner und kümmere mich im Internet um eine kat-holische Theoriebaustelle sowie den Predigtkorb - beide Foren führen zu Begegnungen mit geistlichem Austausch.

Im Uni-Seminar des SS 2008 über das große Trialog-Buch von Kuschel wurde mir klarer, wie von meinem Konzept "Liebesgeschichte" Kuschels großartig ausgearbeitete Sicht der gleichberechtigten Abkömmlinge Adams, Noachs und Abrahams geschärft und erweitert wird. Wechselseitige Beziehungen von Geschwistern sind wichtig und lebendig, aber rein tatsächlich, dem Denken nicht fassbar. Anders die gegensätzlichen Etappen einer Liebesgeschichte. Sie beziehen sich verstehbar aufeinander. Zudem gehört zu ihnen auch der religionskritische Humanismus; von ihm sieht Kuschel ab. Mir scheint der Trialog der Monotheismen ein Paradigma innerhalb des umfassenderen und deutlicher strukturierten der Großen Liebesgeschichte Gottes mit seiner Menschheit.

»Bevor« (wir müssen zeitlich unterscheiden, was ewig ineinander geschieht) »der« Unendliche sich seiner Liebsten zuneigt, birgt und formt »die« Unendliche uns in ihrem mütterlichen Schoß. Ein Embryo lebt in seiner Mutter, kennt sie aber nicht als Person. Das ist der Sinn des - westlichen Hirnen so rätselhaften - Satzes, der Buddhismus sei eine Religion ohne Gott. Pater Klein hat uns von seiner intensiven Begegnung mit Japan kaum gesprochen, dennoch hat sein Zen-Geist der Offenen Weite des Einen Geistes, der alles in allen wirkt, uns auf offenbarungsgeschichtlich unerhörte Weise (die Joachim von Fiore vor achthundert Jahren angekündigt hat) neu geprägt.

August 2008