OKI-Logo Grundprinzipien der Beziehung
der russischen orthodoxen Kirche
zu Andersgläubigen

 

Bischofssynode der russischen orthodoxen Kirche
Moskau, 13.-16. August 2000

 

1. Die Einheit der Kirche und die Sünde menschlicher Spaltungen
1.1. Die orthodoxe Kirche ist die wahre Kirche Christi, die von unserem Herrn und Retter selbst geschaffen ist, die Kirche, die vom Heiligen Geist gefestigt und erfüllt ist, die Kirche, über die der Retter selbst gesagt hat: "Ich werde meine Kirche bauen, und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen" (Mt 16,18). Sie ist die eine, heilige, allumfassende (katholische) und apostolische Kirche, Hüterin und Spenderin der Heiligen Sakramente in der ganzen Welt, "Säule und Feste der Wahrheit" (1 Tim 3,15). Sie trägt die Fülle der Verantwortung für die Ausbreitung der Wahrheit des Evangeliums Christi, ebenso auch die Fülle der Vollmacht, den Glauben zu bezeugen, der "einstmals den Heiligen anvertraut wurde" (Jud 3).
1.2. Die Kirche Christi ist die eine und einzige Kirche (hl. Cyprian von Karthago, "Von der Einheit der Kirche"). Die Einheit der Kirche - des Leibes Christi - gründet darin, dass sie ein Haupt hat, den Herrn Jesus Christus (Eph 5, 23), und dass ein Heiliger Geist in ihr wirkt, der den Leib der Kirche belebt und all ihre Glieder mit Christus, ihrem Haupt, vereint.
1.3. Die Kirche ist die Einheit des "neuen Menschen in Christus". Durch seine Fleischwerdung und Menschwerdung hat der Sohn Gottes "von Neuem eine lange Aufeinanderfolge menschlicher Wesen begonnen" (hl. Irenäus von Lyon), indem er ein neues, gesegnetes Volk erschuf, die geistliche Nachkommenschaft des Zweiten Adam. Die Einheit der Kirche überragt jede menschliche und irdische Einheit, sie ist von oben als vollkommene und göttliche Gabe gegeben. Die Glieder der Kirche sind in Christus durch ihn Selbst geeint, geeint wie Weinreben, in ihm eingewurzelt und in die Einheit des ewigen und geistlichen Lebens gesammelt.
1.4. Die Einheit der Kirche überwindet Barrieren und Grenzen, einschließlich die der Rassen, der Sprachen, der sozialen Unterschiede. Die Frohe Botschaft der Rettung muss allen Völkern verkündet werden, um sie dem einen Schoß zuzuführen, sie zu einen in der Kraft des Glaubens, durch die Gnade des Heiligen Geistes (Mt 28,19-20; Mk 16,15; Apg 1,8).
1.5. In der Kirche sind Feindschaft und Entfremdung überwunden, vollzieht sich in Liebe die Einung der durch die Sünde getrennten Menschheit nach dem Bild der wesenseinen Dreifaltigkeit.
1.6. Die Kirche ist die Einheit des Geistes im Bund des Friedens (Eph 4,3), die Fülle und Beständigkeit des Gnadenlebens und der geistlichen Erfahrung. "Wo die Kirche ist, da ist auch der Geist Gottes, und wo der Geist Gottes ist, dort ist auch die Kirche und jegliche Gnade" (hl. Irenäus von Lyon, "Adversus haereses", Buch 3, Kap. XXIV). In der Einheit des Gnadenlebens gründet die Einheit und Unveränderlichkeit des kirchlichen Glaubens. Immer und unveränderlich "belehrt der Heilige Geist die Kirche mit Hilfe der heiligen Väter und Lehrer. Die katholische Kirche kann nicht sündigen oder sich irren und lügen, anstatt die Wahrheit zu sagen: denn der Heilige Geist, der immer durch die treu ergebenen Väter und Lehrer der Kirche am Werk ist, behütet sie vor jeglichem Irrtum" (Schreiben der Östlichen Patriarchen).
1.7. Die Kirche besitzt einen universalen Charakter - sie existiert in der Welt in Gestalt verschiedener Lokalkirchen, doch die Einheit der Kirche wird dabei nicht im geringsten beeinträchtigt. "Die vom Licht des Herrn erleuchtete Kirche breitet ihre Strahlen über die ganze Welt aus; das Licht aber, das sich überallhin ergießt, ist eins, und die Einheit des Leibes bleibt ungeteilt. Über die ganze Erde breitet sie ihre mit Früchten beladenen Zweige aus; ihre überreichen Ströme fließen in den weiten Raum - bei all dem bleibt das Haupt eins, ein Anfang, eine Mutter, die reich ist am Überfluss ihrer Fruchtbarkeit" (hl. Cyprian von Karthago, "Von der Einheit der Kirche").
1.8. Die kirchliche Einheit ist untrennbar mit dem Sakrament der Eucharistie verbunden, in dem die Gläubigen an dem einen Leib Christi teilhaben und sich so wahrhaft und wirklich im Sakrament der Liebe Christi, in der verklärenden Kraft des Geistes zu einem katholischen Leib verbinden. "Wenn wir ja ‘alle an dem einen Brot teilhaben’, dann bilden alle einen Leib (1 Kor 10, 17), denn Christus kann nicht geteilt sein. Deshalb wird die Kirche auch Leib Christi genannt, und wir sind, nach Auffassung des Apostels Paulus, die einzelnen Glieder (1 Kor 12, 27)" (hl. Kyrill von Alexandrien).
1.9. Die eine, heilige, allumfassende Kirche ist die apostolische Kirche. Durch das von Gott eingesetzte Priestertum werden die Gaben des Heiligen Geistes den Gläubigen mitgeteilt. Die apostolische Sukzession der Hierarchie von den heiligen Aposteln her ist das Fundament der Gemeinsamkeit und der Einheit des Gnadenlebens. Sich von der rechtmäßigen Hierarchie loszusagen, bedeutet, sich vom Heiligen Geist, von Christus selbst loszusagen. "Alle sollt ihr dem Bischof folgen, wie Christus dem Vater, und folgt den Presbytern wie den Aposteln. Die Diakone aber ehrt wie das Gebot Gottes. Ohne den Bischof soll niemand etwas tun, was sich auf die Kirche bezieht. (…) Wo der Bischof ist, dort soll auch das Volk sein, ebenso wie dort, wo Christus ist, auch die katholische Kirche ist" (hl. Ignatius von Antiochien an die Smyrnäer, 8).
1.10. Nur durch die Verbindung mit einer konkreten Gemeinde verwirklicht sich für jedes Glied der Kirche die Gemeinschaft mit der ganzen Kirche. Wenn ein Christ die kanonischen Beziehungen mit seiner Lokalkirche verletzt, schädigt er damit zugleich seine segensreiche Einheit mit dem ganzen Leib der Kirche, reißt er sich von ihm los. Jede beliebige Sünde entfernt im einen oder anderen Maße von der Kirche, wenn sie auch nicht völlig von ihrer Fülle ausschließt. Im Verständnis der Alten Kirche war die Exkommunikation ein Ausschluss aus der eucharistischen Versammlung. Doch die Wiederaufnahme eines Ausgeschlossenen in die kirchliche Gemeinschaft vollzog sich niemals durch eine Wiederholung der Taufe. Der Glaube an die Unauslöschlichkeit der Taufe wird im Glaubensbekenntnis von Nicäa-Konstantinopel bekannt: "Ich glaube an die eine Taufe zur Nachlassung der Sünden". Der 47. Apostolische Kanon (Apostolische Konstitutionen, Buch VIII, Kap. 47) lautet: "Wenn ein Bischof oder Presbyter jemanden von neuem tauft, der in Wahrheit die Taufe besitzt …, dann sei er ausgeschlossen".
1.11. Dadurch bezeugte die Kirche, dass ein Ausgeschlossener das "Siegel" der Zugehörigkeit zum Volk Gottes bewahrt. Indem die Kirche einen Ausgeschlossenen wieder aufnimmt, bringt sie jemanden zum Leben zurück, der schon durch den Geist in den einen Leib getauft worden war. Indem sie aus ihrer Gemeinschaft ein Glied ausschließt, das am Tag seiner Taufe von ihr besiegelt worden ist, hofft die Kirche auf seine Rückkehr. Sie betrachtet die Exkommunikation selbst als Mittel zur geistlichen Wiedergeburt des Ausgeschlossenen.
1.12. Im Verlauf der Jahrhunderte ist das Gebot Christi zur Einheit mehrfach verletzt worden. Trotz der von Gott gebotenen katholischen Einmütigkeit und Eintracht sind im Christentum Meinungsverschiedenheiten und Spaltungen entstanden. Die Kirche hat sich immer streng und grundsätzlich verhalten, sowohl dem gegenüber, der gegen die Reinheit des rettenden Glaubens auftrat, als auch dem gegenüber, der Spaltung und Unruhe in die Kirche hineintrug: "Wozu sind bei euch Streit, Empörung, Uneinigkeit, Spaltung und Zank? Haben wir nicht einen Gott und einen Christus, und einen Geist der Gnade, der über uns ausgegossen ist, und eine Berufung in Christus? Wozu reißen wir die Glieder Christi auseinander und scheiden sie voneinander, erheben wir uns gegen den eigenen Leib und gelangen zu einem solchen Unverstand, dass wir sogar vergessen, dass wir füreinander Glieder sind?" (hl. Klemens von Rom, Schreiben an die Korinther I,46).
1.13. Im Verlauf der christlichen Geschichte haben sich von der Einheit mit der orthodoxen Kirche nicht nur einzelne Christen, sondern auch ganze christliche Gemeinschaften abgespalten. Einige von ihnen sind im Laufe der Geschichte verschwunden, andere aber haben sich im Verlauf der Jahrhunderte erhalten. Die größten bestehenden Spaltungen des ersten Jahrtausends, die bis heute andauern, vollzogen sich, als ein Teil der christlichen Gemeinden die Entscheidungen des III. und IV. Ökumenischen Konzils nicht annahm. Infolgedessen traten die bis heute existierenden Kirchen in ihrem Zustand der Trennung zutage: die Assyrische Kirche des Ostens, die vorchalcedonensischen Kirchen - die Koptische, Armenische, Syrisch-Jakobitische, Äthiopische und Malabarische Kirche. Im zweiten Jahrtausend folgten auf die Abspaltung der römischen Kirche Spaltungen innerhalb der westlichen Christenheit, die mit der Reformation verbunden waren und zu einem unaufhörlichen Prozess der Bildung einer Vielzahl christlicher Denominationen führten, die sich nicht in Gemeinschaft mit dem römischen Stuhl befinden. Es entstanden auch Abspaltungen von der Einheit mit den orthodoxen Lokalkirchen, darunter auch von der russischen orthodoxen Kirche.
1.14. Irrtümer und Häresien sind die Folge einer egoistischen Selbstbehauptung und Absonderung. Jede Spaltung oder jedes Schisma führt im einen oder anderen Maße zum Abfall von der kirchlichen Fülle. Eine Spaltung, selbst wenn sie nicht aus Gründen der Glaubenslehre erfolgt, verletzt die Lehre von der Kirche und führt im Endergebnis zu Entstellungen des Glaubens.
1.15. Die orthodoxe Kirche bekräftigt durch den Mund der heiligen Väter, dass die Rettung nur in der Kirche Christi erlangt werden kann. Gleichzeitig aber sind die Gemeinden, die aus der Einheit mit der Orthodoxie herausgefallen sind, niemals als vollständig der Gnade Christi beraubt betrachtet worden. Der Bruch der kirchlichen Gemeinschaft führt notwendig zur Schädigung des Gnadenlebens, doch nicht immer zu dessen vollständigem Verschwinden in den abgetrennten Gemeinden. Gerade damit ist die Praxis verbunden, diejenigen, die aus andersgläubigen Gemeinschaften in die orthodoxe Kirche kommen, nicht einfach durch das Sakrament der Taufe aufzunehmen. Ungeachtet der zerbrochenen Einheit bleibt eine gewisse unvollständige Gemeinschaft bestehen, die als Unterpfand der Möglichkeit dient, zur Einheit in der Kirche, in die katholische Fülle und Einheit zurückzukehren.
1.16. Die kirchliche Stellung derer, die sich abgespalten haben, lässt sich nicht eindeutig bestimmen. In der getrennten christlichen Welt gibt es einige Merkmale, die sie auf die Einheit hinordnen: das Wort Gottes, der Glaube an Christus als Gott und Retter, der im Fleisch gekommen ist (1 Joh 1,1-2; 4,2.9), und aufrichtige Frömmigkeit.
1.17. Dass es verschiedene Aufnahmeriten gibt (durch Taufe, Myronsalbung, Beichte), zeigt, dass die orthodoxe Kirche andersgläubige Konfessionen differenziert behandelt. Kriterium ist der Grad, in dem der Glaube und die Kirchenordnung und die Norm des geistlichen christlichen Lebens bewahrt sind. Indem die orthodoxe Kirche verschiedene Aufnahmeriten festsetzt, fällt sie jedoch kein Urteil über das Maß der Bewahrung oder Verletzung des Gnadenlebens bei den Andersgläubigen, denn sie betrachtet dies als Geheimnis der Vorsehung und des göttlichen Gerichts.
1.18. Die orthodoxe Kirche ist die wahre Kirche, in der die Heilige Überlieferung und die Fülle der rettenden Gnade Gottes unverletzt bewahrt sind. Sie hat das heilige Erbe der Apostel und heiligen Väter in seiner Ganzheit und Reinheit bewahrt. Sie weiß sich in Übereinstimmung mit der apostolischen Frohbotschaft und der Überlieferung der Alten Kirche in ihrer Lehre, ihrer gottesdienstlichen Struktur und ihrer geistlichen Praxis.
1.19. Die Orthodoxie ist kein "national-kultureller Bestandteil" der Ostkirche. Die Orthodoxie ist die innere Qualität der Kirche, die Bewahrung der Wahrheit der Glaubenslehre, der gottesdienstlichen und hierarchischen Ordnung und der Prinzipien des geistlichen Lebens, die seit den Zeiten der Apostel ununterbrochen und unverändert in der Kirche vorhanden sind. Man darf nicht der Versuchung erliegen, die Vergangenheit zu idealisieren oder die tragischen Mängel und Misserfolge zu ignorieren, die es in der Geschichte der Kirche gegeben hat. Ein Vorbild der geistlichen Selbstkritik geben uns vor allem die großen Kirchenväter. Die Kirchengeschichte kennt nicht wenig Fälle, in denen ein bedeutender Teil des Kirchenvolks einer Häresie verfiel. Sie kennt aber auch den grundsätzlichen Kampf der Kirche gegen die Häresie, und sie kennt ebenso die Erfahrung der Heilung derjenigen, die einmal der Häresie verfallen waren, die Erfahrung der Reue und der Rückkehr in den Schoß der Kirche. Gerade die tragische Erfahrung, dass ein unrichtiges Denken im Inneren der Kirche selbst in Erscheinung tritt, und die Erfahrung des Kampfes damit hat die Kinder der orthodoxen Kirche Wachsamkeit gelehrt. Die orthodoxe Kirche, die demütig bezeugt, dass sie die Wahrheit bewahrt, erinnert sich gleichzeitig an alle historisch aufgetretenen Versuchungen.
1.20. Weil das Gebot zur Einheit verletzt und so die historische Tragödie des Schismas hervorgerufen wurde, sind die zerspaltenen Christen, anstatt Beispiel der Einheit in Liebe nach dem Bild der allerheiligsten Dreifaltigkeit zu sein, zu einer Quelle der Versuchung geworden. Die Gespaltenheit der Christen wurde zur offenen und blutenden Wunde am Leib Christi. Die Tragödie der Spaltungen wurde zu einer ernsten sichtbaren Entstellung des christlichen Universalismus, zum Hindernis im Werk der Bezeugung Christi vor der Welt. Denn die Wirksamkeit dieses Zeugnisses der Kirche Christi hängt in nicht geringem Maße von der Fleischwerdung der durch sie verkündeten Wahrheiten im Leben und in der Praxis der christlichen Gemeinden ab.
2. Das Streben nach Wiederherstellung der Einheit
2.1. Das wichtigste Ziel in den Beziehungen der orthodoxen Kirche zu Andersgläubigen ist die Wiederherstellung der von Gott gebotenen Einheit der Christen (Joh 17,21), die in den göttlichen Plan eingeht und zum Wesen des Christentums selbst gehört. Diese Aufgabe ist von erstrangiger Bedeutung für die orthodoxe Kirche auf allen Ebenen ihres Daseins.
2.2. Gleichgültigkeit in Bezug auf diese Aufgabe oder ihre Ablehnung ist eine Sünde gegen das Gebot Gottes zur Einheit. Nach den Worten des hl. Bischofs Basilius’ des Großen "müssen diejenigen, die aufrichtig und wahrhaft für den Herrn arbeiten, ihr Bemühen einzig darauf lenken, die Kirchen wieder zur Einheit zurückzubringen, die in so vielfacher Weise untereinander zerspalten sind".
2.3. Doch indem sie die Wiederherstellung der zerstörten christlichen Einheit als notwendig anerkennt, bekräftigt die orthodoxe Kirche, dass die wahre Einheit nur im Schoß der einen, heiligen, allumfassenden und apostolischen Kirche möglich ist. Alle anderen "Modelle" der Einheit sind unannehmbar.
2.4. Die orthodoxe Kirche kann die These nicht annehmen, dass ungeachtet der historischen Spaltungen die grundlegende tiefere Einheit der Christen angeblich nicht verletzt worden sei und dass die Kirche so verstanden werden müsse, als falle sie mit der gesamten "christlichen Welt" zusammen, dass die christliche Einheit angeblich über die Barrieren der Denominationen hinaus existiere und die Zerspaltenheit der Kirchen ausschließlich auf das unvollkommene Niveau der menschlichen Beziehungen zurückzuführen sei. Nach dieser Konzeption bleibt die Kirche eine, diese Einheit tritt jedoch nur unzureichend in sichtbaren Formen in Erscheinung. In einem solchen Einheitsmodell wird die Aufgabe der Christen nicht als Wiederherstellung der verlorenen Einheit verstanden, sondern als Aufdeckung einer Einheit, die unverrückbar existiert. In diesem Modell wiederholt sich die in der Reformation aufgekommene Lehre von der "unsichtbaren Kirche".
2.5. Vollkommen unannehmbar und mit der oben dargelegten Konzeption verbunden ist die sogenannte "Zweigtheorie", die die Normalität und sogar Providentialität eines Christentums behauptet, das in der Gestalt einzelner "Zweige" existiert.
2.6. Für die Orthodoxie ist die Behauptung unannehmbar, dass die christlichen Spaltungen eine unvermeidliche Unvollkommenheit der christlichen Geschichte seien, dass sie nur an der geschichtlichen Oberfläche existierten und mit Hilfe von kompromisshaften Übereinkünften der Denominationen untereinander geheilt oder überwunden werden könnten.
2.7. Die orthodoxe Kirche kann keine "Gleichheit der Denominationen" anerkennen. Die von der Kirche Abgefallenen können nicht in dem Zustand mit ihr wieder vereinigt werden, in dem sie sich jetzt befinden, die vorhandenen dogmatischen Divergenzen müssen überwunden und dürfen nicht einfach umgangen werden. Das bedeutet, dass der Weg zur Einheit ein Weg der Reue, der Umkehr und der Erneuerung ist.
2.8. Unannehmbar ist der Gedanke, alle Spaltungen seien nur tragische Missverständnisse, die Uneinigkeiten erschienen nur aus Mangel an Nächstenliebe, aus fehlendem Willen zum Verstehen, als unversöhnlich, bei aller Unterschiedenheit und Unähnlichkeit bestünde eine hinreichende Einheit und Übereinstimmung "im Wesentlichen". Die Spaltungen können nicht auf menschliche Leidenschaften, Egoismus oder gar auf kulturelle, soziale oder politische Umstände zurückgeführt werden. Ebenso unannehmbar ist die Behauptung, dass es Fragen zweitrangigen Charakters sind, die die orthodoxe Kirche von denjenigen christlichen Gemeinschaften unterscheiden, mit denen sie nicht in Communio steht. Man kann nicht alle Spaltungen und Meinungsverschiedenheiten auf verschiedene nicht-theologische Faktoren zurückführen.
2.9. Die orthodoxe Kirche weist auch die These zurück, dass es genüge, die Einheit der christlichen Welt auf dem Weg des gemeinsamen christlichen Dienstes für den Frieden wiederherzustellen. Die christliche Einheit kann nicht durch eine Übereinstimmung in weltlichen Fragen wiederhergestellt werden, bei der die Christen sich im Zweitrangigen einig und im Grundsätzlichen nach wie vor uneinig sind.
2.10. Unzulässig ist es, die Übereinstimmung im Glauben auf einen engen Kreis unumgänglicher Wahrheiten zu beschränken, um außerhalb ihrer Grenzen eine "Freiheit im Zweifelhaften" zuzulassen. Unannehmbar ist die grundsätzliche Einstellung der Toleranz gegenüber unterschiedlichen Auffassungen im Glauben. Dabei dürfen jedoch die Einheit des Glaubens und die Formen seines Ausdrucks nicht vermischt werden.
2.11. Die Spaltung der christlichen Welt ist eine Spaltung in der Glaubenserfahrung selbst, nicht nur in Lehrformulierungen. Es muss eine volle und aufrichtige Übereinstimmung in der eigentlichen Glaubenserfahrung und nicht nur in ihrem formalen Ausdruck erlangt werden. Die formale Einheit des Glaubensbekenntnisses schöpft die Einheit der Kirche nicht aus, wenngleich sie eine ihrer notwendigen Bedingungen ist.
2.12. Die Einheit der Kirche ist vor allem Einheit und Gemeinschaft in den Sakramenten. Aber die wahrhafte Gemeinschaft in den Sakramenten hat nichts mit der Praxis der sogenannten "Interkommunion" gemein. Einheit kann nur verwirklicht werden in der Übereinstimmung der Gnadenerfahrung und des Lebens, im Glauben der Kirche, in der Fülle des sakramentalen Lebens im Heiligen Geist.
2.13. Die Wiederherstellung der christlichen Einheit im Glauben und in der Liebe kann nur von oben kommen, als Gabe des Allmächtigen Gottes. Die Quelle der Einheit ist in Gott, und deshalb werden alle bloß menschlichen Bemühungen zu ihrer Wiederherstellung vergeblich sein, denn "wenn nicht der Herr das Haus errichtet, mühen sich vergeblich, die daran bauen" (Ps 126 [127],1). Nur unser Herr Jesus Christus, der uns das Gebot zur Einheit gegeben hat, ist es auch, der uns die Kräfte zu seiner Erfüllung schenken kann, denn er ist "der Weg, die Wahrheit und das Leben" (Joh 14,6). Aufgabe der orthodoxen Christen aber ist es, mit Gott am Werk der Rettung in Christus mitzuarbeiten.
3. Das orthodoxe Zeugnis für die andersgläubige Welt
3.1. Die orthodoxe Kirche ist die Hüterin der Überlieferung und der Gnadengaben der Alten Kirche, und deshalb sieht sie ihre Hauptaufgabe in den Beziehungen zu Andersgläubigen in dem beständigen und nachdrücklichen Zeugnis, das zur Erschließung und Annahme der Wahrheit führt, die in dieser Überlieferung Ausdruck findet. Wie es im Beschluss der Dritten Vorkonziliaren Panorthodoxen Konferenz (1986) heißt: "In der tiefen Überzeugung und in dem kirchlichen Selbstbewusstsein, dass sie Trägerin und Zeugin des Glaubens und der Überlieferung der Einen, Heiligen, Allumfassenden und Apostolischen Kirche ist, glaubt die orthodoxe Kirche fest, dass sie in der gegenwärtigen Welt einen zentralen Platz im Werk der Bewegung auf die Einheit der Christen hin einnimmt … Mission und Pflicht der orthodoxen Kirche ist die Unterweisung in der ganzen Fülle der Wahrheit, die in der Heiligen Schrift und der Heiligen Überlieferung enthalten ist und die der Kirche ihren universalen Charakter verleiht … Diese Verantwortung der orthodoxen Kirche, ebenso wie auch ihre ökumenische Mission in Bezug auf die Einheit der Kirche, sind auf den Ökumenischen Konzilien zum Ausdruck gebracht worden. Diese Konzilien haben insbesondere die untrennbare Verbindung des rechten Glaubens mit der Gemeinschaft in den Sakramenten betont. Die orthodoxe Kirche hat sich immer bemüht, die verschiedenen christlichen Kirchen und Konfessionen zur gemeinsamen Suche nach der verlorenen Einheit der Christen heranzuziehen, auf dass alle zur Vereinigung des Glaubens gelangen …".
3.2. Der Auftrag zum orthodoxen Zeugnis ist jedem Glied der Kirche auferlegt. Die orthodoxen Christen müssen sich klar bewusst sein, dass der von ihnen bewahrte und bekannte Glaube einen ökumenischen, universalen Charakter besitzt. Die Kirche ist nicht nur berufen, ihre Kinder zu lehren, sondern auch demjenigen, der sie verlassen hat, die Wahrheit zu bezeugen. "Doch wie sollen sie den anrufen, den sie nicht im Glauben erkannt haben? wie an den glauben, von dem sie nicht gehört haben? wie hören, ohne einen, der verkündigt?" (Röm 10, 14). Es ist die Pflicht der orthodoxen Christen, von der Wahrheit Zeugnis abzulegen, die für immer der Kirche anvertraut worden ist, denn wir sind, nach einem Ausdruck des Apostels Paulus, "Mitarbeiter Gottes" (1 Kor 3,9).
4. Der Dialog mit Andersgläubigen
4.1. Die russische orthodoxe Kirche führt bereits seit mehr als zwei Jahrhunderten einen theologischen Dialog mit Andersgläubigen. Charakteristisch für diesen Dialog ist die Verbindung von dogmatischer Prinzipientreue und geschwisterliche Liebe. Dieses Prinzip wurde formuliert im "Antwortschreiben des Heiligen Synod des Ökumenischen Patriarchats" (1903), bezogen auf die Methode des theologischen Dialogs mit den Anglikanern und Altkatholiken: in der Beziehung zu Andersgläubigen "müssen vorhanden sein die geschwisterliche Bereitschaft, ihnen durch Klärungen zu helfen, die selbstverständliche Aufmerksamkeit für ihre besten Wünsche, die größtmögliche Nachsicht in Fällen der Befremdung, die angesichts der jahrhundertelangen Spaltungen natürlich sind - doch gleichzeitig das feste Bekenntnis der Wahrheit unserer Ökumenischen Kirche als der einzigen Hüterin des Erbes Christi und des einzigen rettenden Schreins der Göttlichen Gnade … Ohne ihnen durch unangebrachte Unduldsamkeit und Misstrauen überflüssige Hindernisse für eine Vereinigung aufzuerlegen, muss unsere Aufgabe in der Beziehung zu ihnen darin bestehen …, ihnen unseren Glauben und die unveränderliche Überzeugung zu erschließen, dass nur unsere östliche orthodoxe Kirche, die das ganze Unterpfand Christi unversehrt bewahrt hat, gegenwärtig die ökumenische Kirche ist, und ihnen dadurch wahrhaft zu zeigen, was sie im Blick haben und wozu sie sich entscheiden müssen, wenn sie wirklich an die rettende Kraft des Lebens in der Kirche glauben und aufrichtig die Einigung mit ihr ersehnen …".
4.2. Eine charakteristische Besonderheit der Dialoge, die von der russischen orthodoxen Kirche mit Andersgläubigen geführt werden, ist ihr theologischer Charakter. Die Aufgabe des theologischen Dialogs ist es, den andersgläubigen Partnern das ekklesiologische Selbstverständnis der orthodoxen Kirche, die Grundlagen ihrer Glaubenslehre, der kanonischen Ordnung und der geistlichen Tradition zu erklären, Befremdungen und vorhandene Stereotype zu zerstreuen.
4.3. Die Vertreter der russischen orthodoxen Kirche führen die Dialoge mit Andersgläubigen auf der Grundlage der Treue zur apostolischen und patristischen Überlieferung der orthodoxen Kirche, zur Lehre der ökumenischen und lokalen Konzilien. Dabei sind alle dogmatischen Zugeständnisse und Kompromisse im Glauben ausgeschlossen. Keinerlei Dokumente und Materialien der theologischen Dialoge und Gespräche besitzen verbindliche Kraft für die orthodoxen Kirchen, bevor sie nicht endgültig durch die ganze orthodoxe Fülle bestätigt sind.
4.4. Vom Standpunkt der Orthodoxen aus ist für die Andersgläubigen der Weg zur Wiedervereinigung ein Weg der Heilung und der Umgestaltung des dogmatischen Bewusstseins. Auf diesem Weg müssen von neuem die Themen bedacht werden, die in der Zeit der Ökumenischen Konzilien erörtert wurden. Wichtig ist im Dialog mit Andersgläubigen das Studium des geistlichen und theologischen Erbes der heiligen Väter, der Verkünder des Glaubens.
4.5. Das Zeugnis kann kein Monolog sein, es setzt Hörer, es setzt gemeinschaftlichen Umgang voraus. Ein Dialog bedeutet zwei Seiten, gegenseitige Offenheit für den Austausch, Bereitschaft zum Verstehen, nicht nur "offene Ohren", sondern auch ein "weit gewordenes Herz" (2 Kor 6,11). Gerade deshalb muss eines der wichtigsten Probleme im Dialog der orthodoxen Theologie mit Andersgläubigen das Problem der theologischen Sprache, des Verstehens und der Interpretation werden.
4.6. Überaus erfreulich und inspirierend ist die Tatsache, dass das theologische Denken der Andersgläubigen in Gestalt seiner besten Vertreter ein aufrichtiges und tiefes Interesse am Studium des patristischen Erbes, der Glaubenslehre und der Ordnung der Alten Kirche an den Tag legt. Gleichzeitig muss anerkannt werden, dass in den gegenseitigen Beziehungen zwischen der orthodoxen und der andersgläubigen Theologie viele ungelöste Probleme und Meinungsverschiedenheiten bestehen bleiben. Überdies bedeutet selbst eine formale Ähnlichkeit in vielen Aspekten des Glaubens noch nicht eine wirkliche Einheit, da die Elemente der Glaubenslehre in der orthodoxen Tradition und in der andersgläubigen Theologie in verschiedener Weise interpretiert werden.
4.7. Der Dialog mit Andersgläubigen hat von neuem Verständnis dafür geweckt, dass die eine katholische Wahrheit und Norm in verschiedenen sprachlich-kulturellen Kontexten in unterschiedlichen Formen ausgedrückt und inkarniert werden kann. Im Laufe des Dialogs muss man unbedingt die Eigenart des Kontextes von der tatsächlichen Abweichung von der katholischen Fülle unterscheiden können. Die Frage nach den Grenzen der Vielfalt in der einen katholischen Überlieferung muss zum Thema der Forschung werden.
4.8. Im Rahmen der theologischen Dialoge soll die Schaffung gemeinsamer Forschungszentren, -gruppen und -programme empfohlen werden. Als wichtig sind zu betrachten die regelmäßige Durchführung gemeinsamer theologischer Konferenzen, Seminare und wissenschaftlicher Begegnungen, der Austausch von Delegationen, der Austausch von Publikationen und die gegenseitige Information, die Entwicklung gemeinsamer Publikationsprogramme. Große Bedeutung besitzt auch der Austausch von Spezialisten, Dozenten und Theologen.
4.9. Hohe Bedeutung hat die Entsendung von Theologen der russischen orthodoxen Kirche in die führenden Zentren der andersgläubigen theologischen Wissenschaft. Ebenso notwendig ist es, andersgläubige Theologen in die Geistlichen Schulen und Lehranstalten der russischen orthodoxen Kirche zum Studium der orthodoxen Theologie einzuladen. In den Programmen der Geistlichen Schulen der russischen orthodoxen Kirche sollen große Aufmerksamkeit der Erforschung des Verlaufs und der Resultate der theologischen Dialoge gewidmet werden, ebenso dem Studium der Andersgläubigen.
4.10. Außer über die eigentlich theologischen Themen soll der Dialog auch über das breite Spektrum der Probleme in der Wechselwirkung von Kirche und Welt geführt werden. Eine wichtige Tendenz in der Entwicklung der Beziehungen mit den Andersgläubigen ist die gemeinsame Arbeit im Bereich des Dienstes an der Gesellschaft. Dort, wo dies nicht in Widerspruch zur Glaubenslehre und zur geistlichen Praxis gerät, sollen gemeinsame Programme für religiöse Bildung und Katechese entwickelt werden.
4.11. Eine Besonderheit der bilateralen theologischen Dialoge im Unterschied zu den multilateralen Beziehungen und zur Mitwirkung in interchristlichen Organisationen ist es, dass diese Dialoge von der russischen orthodoxen Kirche in dem Umfang und in den Formen gestaltet werden, die die Kirche im gegebenen Moment für am besten geeignet hält. Maßstab und Kriterium sind hier die Erfolge des Dialogs selbst, die Bereitschaft der Partner, beim Dialog die Position der russischen orthodoxen Kirche innerhalb des umfassenden (nicht nur theologischen) Spektrums der kirchlich-gesellschaftlichen Probleme zu berücksichtigen.
5. Die vielseitigen Dialoge und die Teilnahme an der Arbeit interchristlicher Organisationen
5.1. Die russische orthodoxe Kirche führt Dialoge mit Andersgläubigen nicht nur auf bilateraler, sondern auch auf multilateraler Basis, darunter auch in der panorthodoxen Vertretung, und sie nimmt auch an der Arbeit interchristlicher Organisationen teil.
5.2. In der Frage der Mitgliedschaft in den verschiedenen christlichen Organisationen soll man sich an folgende Kriterien halten: Die russische orthodoxe Kirche kann nicht an internationalen (regionalen/nationalen) christlichen Organisationen mitwirken, in denen a) die Satzung, die Vorschriften oder die Verfahrensweise eine Absage an die Glaubenslehre oder die Tradition der orthodoxen Kirche erfordern, b) die orthodoxe Kirche nicht die Möglichkeit hat, sich als die eine, heilige, allumfassende und apostolische Kirche zu bezeugen, c) die Weise der Beschlussfassung das ekklesiologische Selbstverständnis der orthodoxen Kirche nicht berücksichtigt, d) die Vorschriften und die Verfahrensweise die Verbindlichkeit der "Mehrheitsmeinung" voraussetzen.
5.3. Grad und Formen der Mitwirkung der russischen orthodoxen Kirche in internationalen christlichen Organisationen müssen deren innere Dynamik, die Tagesordnung, die Prioritäten und den Charakter dieser Organisationen im Ganzen berücksichtigen.
5.4. Umfang und Maß der Mitwirkung der russischen orthodoxen Kirche an internationalen christlichen Organisationen werden von der Hierarchie bestimmt, ausgehend von Erwägungen des kirchlichen Nutzens.
5.5. Indem die orthodoxe Kirche den Vorrang des theologischen Dialogs, der Erörterung der Normen des Glaubens, der kirchlichen Ordnung und der Prinzipien des geistlichen Lebens unterstreicht, hält sie es, ebenso wie andere orthodoxe Lokalkirchen, für möglich und nützlich, an der Arbeit verschiedener internationaler Organisationen im Bereich des Weltdienstes mitzuwirken: in der Diakonie, im sozialen Dienst, im Einsatz für den Frieden. Die russische orthodoxe Kirche arbeitet mit verschiedenen christlichen Denominationen und internationalen christlichen Organisationen zusammen in dem Anliegen, vor dem Angesicht der säkularen Gesellschaft ein gemeinsames Zeugnis abzulegen.
5.6. Die russische orthodoxe Kirche unterhält Arbeitsbeziehungen auf der Ebene von Mitgliedschaft oder Zusammenarbeit mit den unterschiedlichsten internationalen christlichen Organisationen, aber auch mit regionalen und nationalen Kirchenräten und christlichen Organisationen, die sich im Bereich der Diakonie, der Jugendarbeit oder des Einsatzes für den Frieden spezialisieren.
6. Die Beziehungen der russischen orthodoxen Kirche zu Andersgläubigen auf ihrem kanonischen Territorium
6.1. Die Beziehungen der russischen orthodoxen Kirche zu andersgläubigen christlichen Gemeinschaften in den Ländern der GUS und des Baltikums müssen verwirklicht werden im Geist geschwisterlicher Zusammenarbeit der orthodoxen Kirche mit den anderen traditionellen Konfessionen mit dem Ziel, die Tätigkeit im gesellschaftlichen Leben, die gemeinsame Verteidigung der christlichen sittlichen Werte, den Dienst an der gesellschaftlichen Eintracht, die Beendigung des Proselytismus auf dem kanonischen Territorium der russischen orthodoxen Kirche zu koordinieren.
6.2. Die russische orthodoxe Kirche bekräftigt, dass die Mission der traditionellen Konfessionen nur unter der Bedingung möglich ist, dass sie ohne Proselytismus erfolgt und nicht durch "Abwerben" von Gläubigen, besonders durch Einsatz materieller Güter. Die christlichen Gemeinden der Länder der GUS und des Baltikums sind aufgerufen, ihre Bemühungen im Bereich der Versöhnung und der sittlichen Erneuerung der Gesellschaft zu vereinen, ihre Stimme zum Schutz des menschlichen Lebens und der menschlichen Würde zu erheben.
6.3. Die orthodoxe Kirche macht einen deutlichen Unterschied zwischen den andersgläubigen Konfessionen, die den Glauben an die Heilige Dreifaltigkeit und die Gottmenschheit Jesu Christi bekennen, und den Sekten, die grundlegende christliche Dogmen ablehnen. Die orthodoxe Kirche gesteht andersgläubigen Christen das Recht zum Zeugnis und zur religiösen Bildung innerhalb der Bevölkerungsgruppen zu, die traditionell zu ihnen gehören, schreitet jedoch gegen jede destruktive missionarische Tätigkeit der Sekten ein.
7. Die inneren Aufgaben im Zusammenhang des Dialogs mit den Andersgläubigen
7.1. Die Orthodoxen weisen Ansichten zurück, die unter dem Gesichtspunkt der orthodoxen Glaubenslehre fehlerhaft sind, sie sind jedoch aufgerufen, sich mit christlicher Liebe den Menschen gegenüber zu verhalten, die diese Ansichten vertreten. Im Umgang mit Andersgläubigen legen die Orthodoxen Zeugnis ab vom Heiligtum der Orthodoxie, von der Einheit der Kirche. Indem sie die Wahrheit bezeugen, sollen die Orthodoxen ihres Zeugnisses würdig sein. Beleidigungen an Andersgläubige zu richten, ist unzulässig.
7.2. Es ist notwendig, die kirchliche Öffentlichkeit zuverlässig und qualifiziert über den Verlauf, die Aufgaben und Perspektiven der Kontakte und des Dialogs der russischen orthodoxen Kirche mit Andersgläubigen zu informieren.
7.3. Die Kirche verurteilt jene, die unzuverlässige Informationen benutzen und damit vorsätzlich den Auftrag des Zeugnisses der orthodoxen Kirche für die andersgläubige Welt entstellen und bewusst die Hierarchie der Kirche verleumden, indem sie ihr "Verrat der Orthodoxie" vorwerfen. Solchen Menschen gegenüber, die den Samen der Versuchung unter den einfachen Gläubigen säen, müssen kanonische Maßnahmen angewandt werden. In dieser Hinsicht soll man sich von den Beschlüssen der Panorthodoxen Zusammenkunft in Thessalonike (1998) leiten lassen: "Die Delegierten haben einstimmig jene spalterischen Gruppen verurteilt, aber auch bestimmte extremistische Gruppen innerhalb der orthodoxen Lokalkirchen, Gruppen, die das Thema des Ökumenismus benutzen, um die Kirchenleitung zu kritisieren und deren Autorität zu untergraben, und die damit versuchen, Meinungsverschiedenheiten und Spaltungen in der Kirche hervorzurufen. Zur Unterstützung ihrer unberechtigten Kritik benutzen sie unwahre Materialien und Fehlinformationen. Die Delegierten hoben auch hervor, dass die orthodoxe Teilnahme an der ökumenischen Bewegung immer auf der orthodoxen Überlieferung, auf den Beschlüssen der Heiligen Synoden der orthodoxen Lokalkirchen und der panorthodoxen Zusammenkünfte gegründet war und gegründet ist … Die Teilnehmer sind einmütig von der Notwendigkeit überzeugt, die Teilnahme an den verschiedenen Formen interchristlicher Tätigkeit fortzusetzen. Wir haben kein Recht, die Mission aufzugeben, die uns von unserem Herrn Jesus Christus auferlegt wurde - die Mission, die Wahrheit vor der nicht-orthodoxen Welt zu bezeugen. Wir dürfen die Beziehungen zu den Christen anderer Konfessionen, die bereit sind, mit uns mitzuarbeiten, nicht abbrechen … Während der vielen Jahrzehnte der orthodoxen Teilnahme an der ökumenischen Bewegung hat keiner der (offiziellen) Vertreter irgendeiner orthodoxen Lokalkirchen jemals die Orthodoxie verraten. Im Gegenteil, diese Vertreter haben ihren kirchlichen Obrigkeiten immer vollkommene Treue und Gehorsam bewahrt und in voller Übereinstimmung mit den kanonischen Vorschriften, der Lehre der Ökumenischen Konzilien und der Kirchenväter und mit der heiligen Überlieferung der orthodoxen Kirche gehandelt". Eine Gefahr für die Kirche stellen auch jene dar, die an interchristlichen Kontakten teilnehmen und im Namen der russischen orthodoxen Kirche ohne den Segen der orthodoxen Obrigkeit auftreten, und ebenso jene, die eine Versuchung in das orthodoxe Milieu hineintragen, indem sie in kanonisch unzulässiger Weise in die sakramentale Gemeinschaft mit Andersgläubigen eintreten.
Schluss Das vergangene Jahrtausend war gekennzeichnet von der Tragödie der Spaltung, der Feindschaft und der Entfremdung. Im 20. Jahrhundert haben die getrennten Christen das Bestreben bekundet, die Einheit der Kirche Christi zu erlangen. Die russische orthodoxe Kirche hat mit der Bereitschaft geantwortet, einen Dialog der Wahrheit und der Liebe mit den andersgläubigen Christen zu führen, einen Dialog, der vom Aufruf Christi und vom gottgebotenen Ziel der christlichen Einheit inspiriert ist. Und heute, an der Schwelle des dritten Jahrtausends nach der Geburt unseres Herrn und Retters Jesus Christus im Fleisch, ruft die orthodoxe Kirche von neuem in Liebe und Beharrlichkeit all jene, für die der gesegnete Name Jesu Christi höher steht als alle Namen unter dem Himmel (Apg 4,12), zur seligen Einheit in der Kirche auf: "Unser Mund ist für euch aufgetan …, unser Herz ist weit geworden" (2 Kor 6,11).
 
Anlage

Geschichte und Charakteristik der theologischen Dialoge
mit Andersgläubigen

Der erste Versuch der russischen orthodoxen Kirche, in einen Dialog mit der andersgläubigen Christenheit einzutreten, fällt auf den Beginn des 18. Jahrhunderts. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beginnt ein theologischer Dialog zwischen der russischen orthodoxen Kirche und andersgläubigen Christen - Anglikanern, Altkatholiken und Vorchalcedonensern. Die Kontakte mit der anglikanischen Kirche wurden in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Nordamerika aktiviert, wo sich orthodoxe Gemeinden in enger Berührung mit der Episkopalkirche der Vereinigten Staaten befanden. Das nächste Mal wurde die Frage nach einer Annäherung von Anglikanern und Orthodoxen in den Verhandlungen der Jahre 1895-1897 gestellt, und dann wieder zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter Teilnahme von Bischof Tichon, dem künftigen Patriarchen von Moskau und der ganzen Rus’. Wichtig für die Ausarbeitung der theologischen Grundlagen für den Dialog mit Andersgläubigen waren die Verhandlungen zwischen der russischen orthodoxen Kirche und der altkatholischen Kirche im Rahmen der Kommission von Petersburg und Rotterdam (1892-1914). Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs und die darauf folgende Revolution von 1917 unterbrachen den offiziellen Dialog der russischen orthodoxen Kirche mit den Anglikanern und Altkatholiken. In dieser Zeit wurde der Dialog mit den Andersgläubigen mit den Kräften der russischen orthodoxen Diaspora weitergeführt. Die russische orthodoxe Kirche konnte die theologischen Dialoge erst in den fünfziger Jahren wieder aufnehmen. So trat die russische orthodoxe Kirche auf bilateraler Ebene in Dialoge mit der Kirche Englands (1956), mit der evangelischen Kirche in Deutschland (1959), mit der römisch-katholischen Kirche (1967), der evangelisch-lutherischen Kirche Finnlands (1970). Die russische orthodoxe Kirche nimmt auch auf panorthodoxer Ebene an dem theologischen Dialog mit Andersgläubigen teil: mit der anglikanischen Kirche (1976), der altkatholischen Kirche (1975), der römisch-katholischen Kirche (1979), mit den altorientalischen (vorchalcedonensischen) Kirchen (1985), dem lutherischen Weltbund (1981), dem reformierten Weltbund (1986).

Die Beziehungen zu den altorientalischen (vorchalcedonensischen) Kirchen

Die russische orthodoxe Kirche nimmt seit dem Jahre 1961 auf panorthodoxer Ebene am Dialog mit den vorchalcedonensischen Kirchen teil, anfangs im Rahmen nicht-offizieller Begegnungen, seit 1985 im offiziellen theologischen Dialog in Gestalt von Vertretern, die der Gemischten theologischen Kommission angehören. Ergebnis dieser mehrjährigen Arbeiten zur Beurteilung der Ursachen und des Charakters der Spaltung, die zwischen der orthodoxen Kirche und den Kirchen besteht, die die Definitionen des IV. Ökumenischen Konzils (von Chalcedon) nicht angenommen haben, ist die "Zweite gemeinsame Erklärung und Vorschlag an die Kirchen" (Chambésy/Schweiz, 1990).
In Bezug auf die Zwischenergebnisse des panorthodoxen Dialogs mit den vorchalcedonensischen Kirchen und das in seinem Verlauf ausgearbeitete Dokument gilt der Beschluss der Bischofssynode der russischen orthodoxen Kirche von 1997:"Wir haben die Information über den Verlauf des Dialogs zwischen der Orthodoxen und den altorientalischen (vorchalcedonensischen) Kirchen aufmerksam zur Kenntnis genommen und begrüßen den Geist der Geschwisterlichkeit, des gegenseitigen Einverständnisses und des gemeinsamen Bestrebens, der apostolischen und patristischen Überlieferung treu zu sein, der von der Gemischten theologischen Kommission bei dem theologischen Dialog zwischen der orthodoxen und den altorientalischen Kirchen in der "Zweiten gemeinsamen Erklärung und den Vorschlägen an die Kirchen" (Chambésy/Schweiz, 1990) zum Ausdruck gebracht wurde. Die "Erklärung" darf nicht als endgültiges Dokument betrachtet werden, das genügt, um die volle Gemeinschaft zwischen der orthodoxen Kirche und den altorientalischen Kirchen wiederherzustellen, denn sie enthält Unklarheiten in einzelnen christologischen Formulierungen. In dieser Beziehung wird der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass die christologischen Formulierungen im Verlauf der Untersuchung von Fragen liturgischen, seelsorglichen und kanonischen Charakters, aber auch von Fragen, die sich auf die Wiederherstellung der kirchlichen Gemeinschaft zwischen den beiden Familien der Kirchen östlich-orthodoxer Tradition beziehen, noch weiter präzisiert werden". Ausgehend von dem angeführten Beschluss der Bischofssynode traf der Heilige Synod in der Sitzung vom 30. März 1999 die Entscheidung, den theologischen Dialog der russischen orthodoxen Kirche mit den vorchalcedonensischen Kirchen auf bilateraler Ebene fortzusetzen.

Die Beziehungen zur römisch-katholischen Kirche

Der Dialog mit der römisch-katholischen Kirche wurde begründet und muss in Zukunft begründet werden unter Berücksichtigung der wesentlichen Tatsache, dass sie eine Kirche ist, in der die apostolische Sukzession der Handauflegung gewahrt ist. Gleichzeitig ist es unumgänglich, den Charakter der Grundlagen der Glaubenslehre und des Ethos der römisch-katholischen Kirche zu beachten, der sich nicht selten entgegen der Überlieferung und der geistlichen Erfahrung der Alten Kirche entwickelt hat.
Der theologische Dialog mit der römisch-katholischen Kirche muss sich parallel zur Erörterung der dringlichsten Probleme der beiderseitigen Beziehungen entfalten. Das wichtigste Thema des Dialogs ist heute das Thema der Union und des Proselytismus.
Gegenwärtig und in nächster Zukunft ist eine der aussichtsreichsten Formen der Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche die Festigung der bestehenden regionalen Beziehungen mit den Diözesen und Gemeinden der römisch-katholischen Kirche. Eine andere Form der Zusammenarbeit kann die Aufnahme von Beziehungen und die Entwicklung schon bestehender Beziehungen zu den katholischen Bischofskonferenzen sein.

Die Beziehungen der russischen orthodoxen Kirche zu den Anglikanern

besitzen einen besonderen Charakter, bedingt sowohl durch ihr langes Bestehen wie durch den besonderen Geist des Interesses und der gegenseitigen Achtung und Aufmerksamkeit, in dem sie traditionell geführt wurden. Nachdem der Dialog mit den Anglikanern durch den revolutionären Machtwechsel in Russland unterbrochen worden war, wurde er im Jahre 1956 auf einem theologischen Kolloquium wieder aufgenommen, bei dem folgende Themen erörtert wurden: "Die gegenseitigen Beziehungen der russischen Orthodoxen und der anglikanischen Kirche", "Die Heilige Schrift und die Heilige Überlieferung", "Die Lehre und ihre Formulierung", "Das Glaubensbekenntnis und die Konzilien", "Die Sakramente, ihr Wesen und ihre Anzahl", "Die orthodoxen Bräuche". Seit 1976 nimmt die russische orthodoxe Kirche an dem panorthodoxen Dialog mit den Anglikanern teil. Im Jahre 1976 wurde eine einvernehmliche Erklärung zu sieben Teilbereichen angenommen: 1) Gotteserkenntnis 2) Göttliche Inspiriertheit und Autorität der Schrift 3) Heilige Schrift und Heilige Überlieferung 4) Die Autorität der Ökumenischen Konzilien 5) Das filioque 6) Die Kirche als eucharistische Gemeinschaft 7) Die Anrufung des Heiligen Geistes in der Eucharistie. Als Resultat des Dialogs wurde von den anglikanischen Teilnehmern der Beschluss gefasst, das Glaubensbekenntnis ohne filioque zu verwenden. Im weiteren Dialog wurden Themen erörtert wie: das Sakrament der Kirche, die Kennzeichen der Kirche, Gemeinschaft und Interkommunion, die Entfaltung des Amtes in der Kirche, Zeugnis, Evangelisierung, Dienst, Trinitätslehre, Gebet und Heiligkeit, Teilhabe an der Gnade der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, Gebet, Gebet und Überlieferung, Gottesdienst und Weitergabe des Glaubens, Gemeinschaft der Heiligen, Ikonenverehrung. Wesentlicher Schaden wurde der erfolgreichen und fortschreitenden Entwicklung des Dialogs zugefügt, als auf anglikanischer Seite die Praxis der Priester- und Bischofsweihe von Frauen aufkam, die der Tradition der Kirche fremd ist. Doch ungeachtet der aufgetretenen Schwierigkeit, die das Niveau und die kirchliche Bedeutung des Dialogs senkte, muss dieser Dialog mit erhöhter Aufmerksamkeit für die Erschließung der geistlichen Grundlagen der orthodoxen Tradition fortgesetzt werden. Die Dritte Vorkonziliare Panorthodoxe Konferenz hat in ihrer Resolution die "zufriedenstellende Arbeit" konstatiert, "die von der Gemischten theologischen Kommission im Dialog zwischen der orthodoxen Kirche und der Kirche Englands geleistet wurde, ungeachtet der bei den Anglikanern auftretenden Tendenzen, die Bedeutung dieses Dialogs herabzusetzen. Die Kommission hat gemeinsame Texte zu Themen der Trinitätslehre und Ekklesiologie sowie auch des Lebens, des Gottesdienstes und der Überlieferung der Kirche verfasst. Zugleich merkt die Konferenz an, dass die in Moskau (1976) unterschriebene Übereinkunft, das filioque aus dem Glaubensbekenntnis herauszunehmen, noch nicht auf breite Resonanz gestoßen ist. Ebenso haben einige Kirchen der anglikanischen Gemeinschaft, ungeachtet der in Athen (1978) und an anderen Orten erfolgten Erörterungen und Erklärungen der Orthodoxen, die sich gegen eine Weihe von Frauen ausgesprochen haben, weiterhin solche Weihen vollzogen. Diese Tendenzen können sich negativ auf den weiteren Verlauf des Dialogs auswirken. Eine ernsthafte Schwierigkeit für den normalen Verlauf dieses Dialogs stellen auch die unklaren und dehnbaren ekklesiologischen Voraussetzungen der Anglikaner dar, die den Inhalt der zusammen unterschriebenen gemeinsamen theologischen Texte ihrer Konkretheit berauben. Eine analoge Schwierigkeit ist als Folge verschiedener extremer Erklärungen zu Glaubensfragen von Seiten einzelner führender Vertreter der Anglikaner entstanden. Im Hinblick auf die Thematik des Dialogs empfiehlt die Konferenz insbesondere, die Übereinstimmung hervorzuheben, die in den dogmatischen Fragen erzielt werden kann, die beide Kirchen miteinander teilen. Ebenso könnten in die Thematik auch Fragen der Spiritualität, der Seelsorge und des Dienstes an den Nöten der gegenwärtigen Welt einbezogen werden".

Der Dialog der orthodoxen Kirche mit den Altkatholiken

zeichnet sich ebenfalls durch seine reiche Geschichte und theologische Bedeutsamkeit aus, aber auch durch die sehr gewichtigen Ergebnisse, die auf dem Landeskonzil der russischen orthodoxen Kirche 1917/18 gewürdigt wurden. Die Dritte Vorkonziliare Panorthodoxe Konferenz (28.11. - 6.12.1986) hat folgende Resolution zu den Ergebnissen des Dialogs mit den Altkatholiken angenommen: "Bereits verfasst und gemeinsam angenommen sind zwanzig Texte; so groß ist die Anzahl von Texten zu theologischen, ekklesiologischen, soteriologischen Themen, einschließlich Fragen über die Gottesmutter und einige Sakramente. Die Gemischte theologische Kommission wird auch bei der folgenden Sitzung Fragen zu untersuchen und zu erörtern haben, die die Sakramentenlehre, die Eschatologie sowie die Bedingungen und Folgen der kirchlichen Gemeinschaft betreffen. Die Konferenz ist der Auffassung, dass für eine umfassendere Bewertung der Resultate dieses Dialoges Folgendes im Blick behalten werden sollte: a) die seit langem von der altkatholischen Kirche befolgte Praxis der Sakramentengemeinschaft mit der Kirche Englands sowie die späteren, in Deutschland aufgetauchten Tendenzen zur Sakramentengemeinschaft mit der evangelischen Kirche, insofern all das die Bedeutung der im Dialog zusammen unterzeichneten gemeinsamen ekklesiologischen Texte herabsetzt; b) die Schwierigkeiten, die zusammen unterzeichneten gemeinsamen theologischen Texte im gesamten Leben der altkatholischen Kirche Gestalt werden zu lassen und zu erschließen. Beide Fragen bedürfen unter dem Gesichtspunkt ihrer ekklesiologischen und kirchlichen Folgen der Beurteilung durch kompetente Theologen der orthodoxen Kirche, um dadurch schneller die kirchlichen Voraussetzungen zur Wiederherstellung der kirchlichen Gemeinschaft mit den Altkatholiken zu schaffen. Ein erfolgreicher Abschluss dieses theologischen Dialogs wird sich auch günstig auf die Resultate anderer Dialoge auswirken, insofern er das Vertrauen zu ihnen stärkt".

Die russische orthodoxe Kirche führt einen Dialog mit den Lutheranern

sowohl auf bilateraler als auch auf panorthodoxer Ebene. Im Dialog mit der evangelischen Kirche Deutschlands (BRD) wurden als Themen erörtert: Heilige Schrift und Überlieferung, Erlösung, Pneumatologie, der Frieden, die Sakramente der Taufe und der Eucharistie. Im Dialog mit der lutherischen Kirche Finnlands werden folgende Themen diskutiert: Eucharistie, Erlösung, Rechtfertigung, Vergöttlichung. Es wurde auch ein Dialog der russischen orthodoxen Kirche mit den Lutheranern der DDR geführt, in dessen Verlauf Fragen nach dem Verständnis des Reiches Gottes und der heiligenden Wirkung der Göttlichen Gnade in den zwei Traditionen untersucht wurden. Auf panorthodoxer Ebene steht das Thema zur Diskussion: "Die Teilhabe am Sakrament der Kirche".

Die russische orthodoxe Kirche nimmt am panorthodoxen Dialog mit den Reformierten teil.

Themen dieses Dialogs waren die Heilige Überlieferung, die Eucharistie, geistliche Werte und sozialer Dienst. Ungeachtet aller Schwierigkeit dieses Dialogs muss er ebenfalls mit besonderer Aufmerksamkeit für die ekklesiologische Thematik wie auch für das Thema der Überlieferung der Kirche fortgesetzt werden.

Die Teilnahme an internationalen Organisationen und Dialogen mit der sogenannten "Ökumenischen Bewegung"

Bereits seit fast einem Jahrhundert führt die russische orthodoxe Kirche den Dialog mit der ökumenischen Bewegung. "Ökumenismus" ist ein vielschichtiger Begriff. Während er ursprünglich das Streben nach Annäherung der Christen bezeichnet, wird er heute in höchst verschiedenen Sinnzusammenhängen verwandt. Deshalb muss klar unterschieden werden zwischen den Begriffen "Ökumenismus" und "ökumenische Bewegung" einerseits und "die ökumenischen Kontakte der orthodoxen Kirche" oder "die Teilnahme der Orthodoxen an der ökumenischen Bewegung" andererseits. Das wichtigste Ziel der orthodoxen Teilnahme an der ökumenischen Bewegung hat immer darin bestanden und muss in Zukunft darin bestehen, die Glaubenslehre und die katholische Überlieferung der Kirche und in erster Linie die Wahrheit von der Einheit der Kirche zu bezeugen, wie sie im Leben der orthodoxen Lokalkirchen verwirklicht wird.
Der Dialog der orthodoxen Kirche mit der ökumenischen Bewegung bedeutet nicht, dass die übrigen Teilnehmer der Bewegung als gleichwertig oder gleichbedeutend anerkannt werden. Die Mitgliedschaft im Weltrat der Kirchen bedeutet nicht, dass der ÖRK anerkannt wird als eine kirchliche Realität umfassenderer Ordnung als die orthodoxe Kirche selbst, insofern sie die Eine, Heilige, Allumfassende und Apostolische Kirche ist; die Mitgliedschaft bedeutet auch nicht einfach die Anerkennung, dass der ÖRK und die ökumenische Bewegung auch nur irgendeine kirchliche Realität in sich selbst besitzen. Der geistliche Wert und die Bedeutung des ÖRK gründen in der Bereitschaft und im Bestreben der Mitglieder des ÖRK, auf das Zeugnis der katholischen Wahrheit zu hören und zu antworten.
Die ökumenische Bewegung entstand im Innern des Protestantismus am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert. Das Aufkommen der ökumenischen Bewegung ist mit dem Erwachen des "Willens zur Einheit" in der zerspaltenen Christenheit verbunden. Außerdem waren die Ausgangsmotive und Impulse der ökumenischen Bewegung das Bedürfnis nach internationaler christlicher Zusammenarbeit und das Bestreben, das zerstörerische Werk der Mission des Denominationalismus zu überwinden. Ein charakteristisches Zeichen am Ende des 19. Jahrhunderts war das Auftreten konfessioneller Bünde, Vereinigungen und Allianzen. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts war die ökumenische Bewegung nicht etwas Einheitliches, sie war die Gesamtheit einer Reihe von interprotestantischen Bewegungen. Praktisch gleich vom Beginn des Aufkommens der ökumenischen Bewegung an waren ihre Initiatoren bestrebt, ein einheitliches Organ der ökumenischen Bewegung zu schaffen, das sich in der Folge im "Weltrat der Kirchen" herausbildete. Außerdem entstanden nationale und regionale Organe der ökumenischen Zusammenarbeit - nationale und regionale "Kirchenräte". Neben der missionarischen Arbeit ging in erster Linie die Zusammenarbeit im Bereich der praktischen Angelegenheiten in den Interessenkreis der ökumenischen Bewegung ein. Die im Vergleich dazu später ausgebildete Bewegung für eine interchristliche Vereinigung wurde gerade von der protestantischen Lehre über die Kirche, über die Ziele und Aufgaben der christlichen Wiedervereinigung inspiriert. Eine der Schlüsselideen für den protestantischen Ökumenismus war der Gedanke, dass keine der existierenden Konfessionen beanspruchen könne, sich im vollen Sinn als die "Eine, Heilige, Allumfassende und Apostolische Kirche" zu bezeichnen. Sie alle seien nichts anderes als Denominationen, entstanden als Ergebnis der Spaltung der einstmals geeinten Christenheit aufgrund menschlicher Unzulänglichkeiten. In der Frage nach der Natur der christlichen Einheit und der Bedeutung der Spaltungen hatten die Vertreter der verschiedenen Konfessionen ihre Meinungsverschiedenheiten, doch im Grunde lief die "ökumenische Ekklesiologie" darauf hinaus, dass die christliche Einheit eine gewisse Gegebenheit sei. Alle Christen, insofern sie alle an Christus glauben, seien auch eins in Christus. Unter der ökumenischen Aufgabe wurde demgemäß die Notwendigkeit verstanden, diese im Laufe der Geschichte verdunkelte und geschwächte ontologische Einheit in sichtbarer Gestalt auszudrücken und hervorzuheben, die gestörten Beziehungen unter den Christen wiederherzustellen. Entsprechend dachte man sich auf praktischer Ebene die Perspektive einer Wiederherstellung der Einheit in der Richtung interdenominationaler Übereinkünfte. Insofern die These bestand, dass "das Dogma trennt, das Leben dagegen vereint", nahm man sich vor, um eine Annäherung der Denominationen zu erreichen, a) einen Lehrkonsens anzustreben in Fragen, die die Konfessionen trennen (ein solcher Konsens setzte, wie jeder Konsens, gegenseitige Zugeständnisse voraus, die Anerkennung der Unterschiede als etwas Zweitrangiges, besonders auch deshalb, weil alle diese Divergenzen in der Lehre Frucht der Unnachgiebigkeit und Anmaßung von Theologen und der Herrschsucht kirchlicher Administratoren seien), b) ohne das Erreichen eines Lehrkonsenses abzuwarten, die Einheit in der praktischen Arbeit in die Tat umzusetzen - in der Mission, im Dienst an den Entrechteten usw., c) die Errichtung der kirchlichen Gemeinschaft anzustreben und als Mittel auf dem Weg zur geistlichen Annäherung der Denominationen gemeinsame Gebete durchzuführen, Vertreter einer anderen Vereinigung zum Gottesdienst in die eigene Gemeinde einzuladen usw. - Wenig später erhielt diese Idee den Charakter der sogenannten "Interkommunion" oder "eucharistischen Gastfreundschaft", als Vertreter einer anderen Konfession, mit der die volle Gemeinschaft noch nicht wiederhergestellt ist, zur Teilnahme an der Eucharistie eingeladen wurden. Der Weltrat der Kirchen wurde von den Initiatoren seiner Gründung als das sichtbarste Zeichen der christlichen Einheit betrachtet, als Instrument zur Koordination einer Annäherung der Denominationen.
Gerade in der Wahl dieses Ausdrucks "ökumenisch" für die Bewegung der Christen zur Einheit spiegelt sich ein spezifisch westliches, äußerliches Verständnis der Prinzipien der Katholizität und Einheit der Kirche wider. Die "Ökumene", der "Erdkreis" der ersten Jahrhunderte der Christenheit bezeichnete die bewohnte Erde, die Gesamtheit der Länder griechisch-römischer Kultur, die Länder des Mittelmeerraums, das Territorium des römischen Reichs. Das Adjektiv oikumenikos wurde zur Bestimmung des byzantinischen Kaiserreichs, des "ökumenischen Kaiserreichs". Da die Grenzen des Imperiums zur Zeit Konstantins des Großen mehr oder weniger mit der Ausdehnung der Kirche zusammenfielen, verwandte die Kirche häufig den Terminus oikumenikos. Er wurde als Ehrentitel den Bischöfen beider Reichshauptstädte verliehen, den Bischöfen von Rom und später des "Neuen Rom ", Konstantinopel. Vor allem aber wurden mit diesem Terminus die gesamtkirchlichen Konzilien der Bischöfe des ökumenischen Kaiserreichs bezeichnet. Mit dem Wort "ökumenisch" wurde auch das bezeichnet, was das kirchliche Territorium im Ganzen betraf, im Gegensatz zu dem, was nur lokale, provinzielle Bedeutung hatte (z.B. eine Lokalsynode oder eine örtliche Ehrung). Deshalb meinte der Ausdruck "ökumenische Bewegung" die Überwindung denominationalistischer "Provinzialität", die Überwindung der Abgrenzung von der gesamten übrigen Welt, die Offenheit für alle übrigen christlichen Gemeinden. Die orthodoxe Kirche unterscheidet die "christliche Gesamtheit", den Universalismus, die Ökumenizität, von der Katholizität (sobornost'). Ökumenizität ist eine notwendige Folge aus der Katholizität der Kirche und untrennbar mit der Katholizität der Kirche verbunden, weil sie nichts anderes ist als ihr äußerer, materialer Ausdruck. Die Kirche im Ganzen wird "ökumenisch" genannt, und diese Bestimmung kann ihren Teilen nicht beigelegt werden; doch jeder Teil der Kirche, selbst der kleinste, sogar ein einzelner Gläubiger kann katholisch (sobornoj) genannt werden. Die Ökumenizität und universale Verbreitung der Kirche ist Folge ihrer Katholizität. Ökumenisch ist die Kirche nicht nur in der Gesamtheit aller ihrer Glieder oder aller Lokalkirchen, sondern überall und immer, in jeder Lokalkirche, in jedem Kirchenraum. Daher weichen das orthodoxe und das andersgläubige Verständnis der "Ökumene" beträchtlich voneinander ab. Für die Orthodoxen ist Ökumenizität die Folge der inneren Einheit mit der Wahrheit und der inneren Ganzheit und Unteilbarkeit der geistlichen Erfahrung der Kirche - für Andersgläubige ist Ökumenismus die erste Voraussetzung und formale Bedingung der Einheit.
Zwar besteht kein Zweifel daran, dass das Zeugnis der orthodoxen Kirche der andersgläubigen Welt gegenüber notwendig ist, doch die Frage nach den konkreten Formen dieses Zeugnisses, insbesondere nach der Zweckmäßigkeit der Teilnahme der orthodoxen Kirche an der Ökumenischen Bewegung und an den internationalen christlichen Organisationen war und ist weiterhin Gegenstand eines fortwährenden und aufmerksamen Studiums. Die orthodoxen Lokalkirchen erkennen an und erinnern die Andersgläubigen ständig daran, dass das Hauptproblem der Ökumene die Spaltung und nicht die Einheit ist; damit haben sie die Entscheidung getroffen, an der ökumenischen Bewegung und den ökumenischen Organisationen sozusagen "von innen her" teilzunehmen und in konstruktiver Weise eine kritische Position einzunehmen. Man kann nicht sagen, dass diese Frage für das orthodoxe Gewissen und Bewusstsein unstrittig ist. Die Orthodoxen sehen, dass in der ökumenischen Bewegung sowohl ein aufrichtiges Streben nach Einheit als auch gleichzeitig ein ganzes Spektrum von Irrtümern und unrichtigem Denken in der Glaubenslehre vorhanden ist, die im Verlauf der christlichen Geschichte hervorgetreten sind. Im Zusammenhang damit ergab und ergibt sich mehrfach die Frage: Ist die ökumenische Bewegung, sind ihre institutionalisierten Formen und auch die Rolle, die Orthodoxe darin spielen, ein geeignetes und effizientes Mittel für das orthodoxe Zeugnis? Wäre es nicht besser, einfacher und vernünftiger, Distanz zu wahren, von außerhalb zu sprechen und von Anfang an die Unvereinbarkeit der grundlegenden Voraussetzungen sowie auch die wesentlichen Divergenzen in der Formulierung der Aufgaben und letzten Ziele zu betonen? Indem sie aber an der ökumenischen Bewegung teilnehmen, erklären die Orthodoxen völlig bestimmt und unzweideutig, dass sie die andersgläubige Sicht der Ökumenizität nicht teilen. Für die Orthodoxen ist nicht wichtig, was die ökumenische Bewegung gegenwärtig darstellt, sondern das, was die ökumenische Bewegung sein könnte und werden könnte, wenn der "Sauerteig" des orthodoxen Zeugnisses weise und geduldig in ihr wirkt.
Über die Prinzipien der Beziehung der orthodoxen Kirche zur "ökumenischen Einheit" und ihren institutionellen Formen schrieb der Erzbischof und Märtyrer Hilarion (Troizkij) in seiner Antwort an Robert Gardiner, einen der Führer der ökumenischen Bewegung und Initiator der Gründung des Weltrats der Kirchen. Erzbischof Hilarion widmete seine Antwort einer schonungslosen Kritik der "ökumenischen Ekklesiologie", die Gardiner offenbar teilte, und schreibt am Schluss seines Briefes folgendes: "Denken Sie nicht, dass meine entschiedene Absage an Ihren Begriff der Einheit der Kirche eine Verurteilung der Idee einer Weltkonferenz des Christentums (Vorbild ÖRK) sei. Nein, ich habe schon mein volles, vom Gebet getragenes Wohlwollen für die geplante Konferenz ausgesprochen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass es ein riesiger Schritt auf dem Weg zur Vereinigung wäre, wenn die Konferenz vor allem die Wahrheit der Einheit der Kirche bekräftigen und nicht alle zeitgenössischen Glaubensbekenntnisse und Sekten zusammengenommen für die Eine Kirche Christi halten würde, die ihre sichtbare Einheit nur verloren habe".
Das Verhältnis der russischen orthodoxen Kirche zum Weltrat der Kirchen war vielschichtig. Neben dem Bestreben, ihre Zeugnispflicht zu erfüllen, sah die russische orthodoxe Kirche auch die Gefahren, die sich darin verbargen, dass der ÖRK durch das protestantische Element dominiert wurde. Die russische orthodoxe Kirche hat, gemeinsam mit einer Reihe anderer orthodoxer Lokalkirchen, die Einladung zum Eintritt in den ÖRK im Jahre 1948 abgelehnt. Als schmerzlichstes Thema für das orthodoxe Selbstverständnis erwies sich der Begriff der Mitgliedschaft im Weltrat der Kirchen. Das Dasein der orthodoxen Kirchen in der Eigenschaft von Mitgliedskirchen, gleichberechtigt mit anderen "Kirchen", rief den ernsten Verdacht hervor, dass es möglich sei, den ÖRK als eine universalere Struktur zu interpretieren als die Eine, Heilige, Allumfassende und Apostolische Kirche, als die die orthodoxe Kirche sich versteht. Ergebnis der konstruktiven und beharrlichen Kritik von Seiten der Orthodoxen war die Annahme der sogenannten "Toronto-Erklärung" durch den Weltrat der Kirchen; sie garantierte für die Orthodoxen das Recht, im ÖRK klar und unzweideutig von ihrer Ekklesiologie und von der Natur der christlichen Spaltung Zeugnis abzulegen, und die Absage an die Forderung nach "Parität" und Anerkennung verschiedener Denominationen, die eine ekklesiologische Neutralität des ÖRK behaupten, als Kirchen; sie garantierte, dass der ÖRK nicht als "Überkirche" betrachtet wird und in keiner Weise danach strebt, eine solche hervorzubringen. Die Toronto-Erklärung war die Antwort des Weltrates der Kirchen auf die Kritik der Moskauer Konferenz von 1948 an den "Zielsetzungen des ÖRK". Die weitere Evolution des Rates zur positiven Seite hin führte zu konstruktiven Anstrengungen des Weltrates, die einseitige pro-westliche Ausrichtung seiner Tätigkeit zu verändern und sich um den Erhalt einer ausgeglicheneren und objektiveren Beziehung zwischen West und Ost zu bemühen. Auf theologischer Ebene begann der Weltrat der Kirchen den Problemen von "Glauben und Kirchenverfassung" mehr Aufmerksamkeit zu widmen, insbesondere der Ausarbeitung einer neuen Basisformulierung und einer klareren Bestimmung der Einheit der Kirche im Glauben und in den Grundlagen der kanonischen Ordnung. Diese innere Evolution entwickelte sich in die Richtung, dass die Elemente der Katholizität und der Kirchlichkeit gestärkt wurden.
Im Juli des Jahres 1961 fasste das Lokalkonzil der russischen orthodoxen Kirche den Beschluss zum Eintritt der russischen orthodoxen Kirche in den Weltrat der Kirchen. Der Eintritt der russischen orthodoxen Kirche in den Weltrat der Kirchen erfolgte im Dezember 1961 auf der dritten Vollversammlung des ÖRK in Neu-Delhi. Dass die Änderung der Position der russischen orthodoxen Kirche in Bezug auf die ökumenische Bewegung durch die positiven Veränderungen innerhalb dieser Bewegung hervorgerufen worden war und dass der Eintritt der russischen Kirche in den ÖRK von den Überlegungen getragen war, ein orthodoxes Zeugnis zu geben, sprach im Jahre 1961 Seine Heiligkeit Aleksij I., Patriarch von Moskau und der ganzen Rus', aus: "Wir stellen mit Genugtuung fest, dass … (die ökumenische Bewegung) in vielem den Weg der Bemühung um eine kirchlichere, geistlichere Ordnung ihrer Tätigkeit beschritten hat. Und wir haben jetzt unsere Position im Hinblick auf den Weltrat der Kirchen geändert. Allerdings haben wir Orthodoxe uns auch früher den westlichen Christen gegenüber nicht kalt und oder gar geringschätzig verhalten. Im Gegenteil, wir sind ihrem geistlichen Suchen und Verlangen immer gern entgegengekommen und haben die Vereinigung aller unter dem Haupt Christus im Schoß Seiner Heiligen Kirche gewünscht. Jetzt aber, wo diejenigen, die von der Kirche abgefallen sind, selbst die Einheit in ihr suchen, müssen wir ihnen unbedingt entgegengehen, um ihre Suche durch das Zeugnis von der Wahrheit der Orthodoxie zu erleichtern. Die gegenseitigen Beziehungen, die zwischen unserer Kirche und dem Weltrat der Kirchen entstanden sind …, haben jetzt zu dem bekannten Beschluss unseres Heiligen Synod vom 30. März (1961) geführt, dass die russische orthodoxe Kirche in den Weltrat der Kirchen eintritt. Unter den gegenwärtigen Umständen können wir die Hinweise nicht übersehen, dass es notwendig ist, das Gefühl christlicher Gemeinsamkeit unterstützen und die Christen von Ost und West durch die Bande der Liebe und des Friedens zu verbinden. Unsere Mission unter den gegebenen Bedingungen ist es, den westlichen Christen das Licht der Orthodoxie zu offenbaren".
Der Eintritt der russischen orthodoxen Kirche in den Weltrat der Kirchen wurde feierlich vollzogen mit der Annahme der Erklärung der dritten Vollversammlung des ÖRK durch die orthodoxen Teilnehmer; in dieser Erklärung wurde die kritische Haltung der Orthodoxen zu der in der protestantischen Welt vorherrschenden Vorstellung über die Methoden der christlichen Wiedervereinigung sehr bestimmt formuliert, und sie wurde zu einem neuen hervorstechenden Beispiel für das grundsätzliche Zeugnis der Orthodoxie den andersgläubigen Mitgliedern gegenüber: "Die ökumenische Bewegung, die jetzt im Weltrat der Kirchen Gestalt gewonnen hat, ist von einer protestantischen Initiative ausgegangen, sie war jedoch nicht von Anfang an dazu bestimmt, eine protestantische Angelegenheit zu sein und darf auch nicht als solche betrachtet werden. Das muss in besonderer Weise jetzt betont werden, wo fast alle Kirchen der orthodoxen Gemeinschaft Mitglieder des ÖRK geworden sind … Das ökumenische Problem, wie es in der gegenwärtigen ökumenischen Bewegung verstanden wird, ist in erster Linie ein Problem der protestantischen Welt. Die Grundfrage in dieser perspektivischen Verkürzung ist die Frage nach dem "Denominationalismus". Deshalb wird das Problem der christlichen Einheit bzw. der christlichen Wiedervereinigung gewöhnlich im Kontext der Übereinstimmung oder Versöhnung zwischen den Denominationen betrachtet. In der protestantischen Welt ist ein solcher Zugang normal. Für die Orthodoxen ist er jedoch nicht geeignet. Für die Orthodoxen besteht das grundlegende ökumenische Problem im Schisma. Die Orthodoxen können die Idee der "Gleichheit der Denominationen" nicht annehmen, und sie können die christliche Wiedervereinigung nicht einfach als eine Regelung zwischen den Denominationen betrachten. Die Einheit wurde verletzt und muss wieder hergestellt werden. Die orthodoxe Kirche ist nicht eine von vielen Konfessionen - für die Orthodoxen ist die orthodoxe Kirche die Kirche. Die orthodoxe Kirche identifiziert ihre innere Struktur und ihre Lehre mit der apostolischen Verkündigung (Kerygma) und der Tradition der alten ungeteilten Kirche. Sie befindet sich in einer ununterbrochenen, beständigen Sukzession im sakramentalen Dienst, im sakramentalen Leben und Glauben. Für die Orthodoxen sind die apostolische Sukzession des Episkopats und das Sakrament des priesterlichen Dienstes von wesentlicher und grundlegender Bedeutung, und deshalb sind sie verbindliche Elemente der Existenz der Kirche selbst. Die orthodoxe Kirche besitzt ihrer inneren Überzeugung und ihrem Wissen nach in der gespaltenen christlichen Welt einen besonderen und unvertretbaren Platz als Trägerin und Zeugin für die Traditionen der alten ungeteilten Kirche, aus der alle bestehenden Denominationen auf dem Weg der Verkürzung und Abspaltung hervorgegangen sind. Vom orthodoxen Gesichtspunkt her kann die gegenwärtige ökumenische Bemühung bezeichnet werden als "Ökumenismus im Raum", der auf ein Übereinkommen zwischen den verschiedenen im Augenblick existierenden Denominationen abzielt. Vom orthodoxen Gesichtspunkt her ist diese Bemühung unvollständig und unzureichend. Man kann gemeinsame Grundlagen in den bestehenden Denominationen in der Vergangenheit finden: in ihrer gemeinsamen Geschichte, in der gemeinsamen alten und apostolischen Tradition, aus der sie hervorgegangen sind, und man muss nach diesen Gemeinsamkeiten suchen. Diese Sicht der ökumenischen Bemühung kann man "Ökumenismus in der Zeit" nennen … Nicht eine statische Wiederherstellung alter Formen ist beabsichtigt, sondern eher die dynamische Wiederherstellung des ewigen Wesens, das allein auch das wahre Einvernehmen "aller Zeiten" gewährleistet … Das Ziel der ökumenischen Bemühung besteht nach orthodoxem Verständnis in der Wiederherstellung des christlichen Geistes, der apostolischen Überlieferung, der Fülle der christlichen Vision und des christlichen Glaubens im Einvernehmen mit allen Zeiten".
Die Jahrzehnte, die seit dem Eintritt der russischen orthodoxen Kirche in den Weltrat der Kirchen vergangen sind, waren Jahre eines angespannten Dialogs. Die Mitwirkung im ÖRK erwies sich als schwere Aufgabe, die den Kräfteeinsatz der besten Theologen der Kirche erforderlich machte. Der orthodoxe Optimismus der frühen Periode der ökumenischen Bewegung, der mit der Hoffnung auf eine rasche und wesentliche Annäherung mit den Andersgläubigen verbunden gewesen war, erwies sich als verfrüht: zu tief waren die Unterschiede, außerordentlich schwierig war die Aufgabe, eine neue Sprache zu schaffen. Doch ungeachtet dieser Schwierigkeiten haben die Jahre mühseliger Arbeit ihre Früchte getragen. So sind die Resultate des orthodoxen Zeugnisses im ÖRK eine neue Basisformulierung des ÖRK; die Erklärung in Neu-Delhi über die Einheit und die Toronto-Erklärung; die Lima-Dokumente des ÖRK über Taufe, Eucharistie und Amt. Ein unbestreitbarer Erfolg für das orthodoxe Zeugnis im ÖRK war die Weltkonferenz von "Glauben und Kirchenverfassung" im Jahre 1993 in Santiago (Spanien) mit ihren Beschlüssen, dass es notwendig sei, sich zu konzentrieren auf Fragen der Ekklesiologie, des Bekenntnisses zum apostolischen Glauben, auf die Verbindlichkeit des Glaubensbekenntnisses von Nicäa-Konstantinopel (ohne filioque) für alle, auf die Einheit im Verständnis der Apostolischen Überlieferung und der Apostolischen Sukzession, auf die Fragen der Autorität der Kirche, nach dem Vorrang im Dienst an der Einheit, auf die Notwendigkeit der Verurteilung des Proselytismus.
Im Verlauf der vielen Jahre des Dialogs mit der ökumenischen Bewegung haben die Orthodoxen die Priorität der Bemühungen um die Wiederherstellung der Einheit im Glauben, in der Ordnung und in den Prinzipien des geistlichen Lebens der Kirche hervorgehoben und sie über die Zusammenarbeit in praktischen Angelegenheiten, den sogenannten "Horizontalismus", gestellt. Damit verbunden ist auch die besondere Aufmerksamkeit, die die Orthodoxen ihrer Mitwirkung in der Kommission "Glauben und Kirchenverfassung" des ÖRK widmen. Die Kommission "Glauben und Kirchenverfassung" ist im Rahmen der ÖRK die institutionelle und in gewissem Maße autonome Fortsetzung der gleichnamigen Bewegung, die seit dem Jahr 1910 existiert, eine der wichtigsten Richtungen innerhalb der ökumenischen Bewegung neben den Bewegungen für "Praktisches Christentum" und dem Internationalen Missionsrat. Die Tätigkeit der Kommission "Glauben und Kirchenverfassung" war, im Unterschied zu anderen Richtungen der ökumenischen Bewegung - und darin liegt ihr besonderer Wert und ihre Bedeutung für das orthodoxe Zeugnis -, von Anfang an auf die Verwirklichung eines vielseitigen theologischen Dialogs ausgerichtet. Gerade im Rahmen der Richtung "Glauben und Kirchenverfassung" konnten die orthodoxen Teilnehmer ihren Partnern im theologischen Dialog die katholische Sicht der erörterten Themen vermitteln: die Kirche und ihre Einheit, das Verständnis der Sakramente Taufe, Eucharistie und Priesterweihe, Schrift und Überlieferung, die Rolle und Bedeutung der Glaubensbekenntnisse, der Einfluss der sogenannten "nicht-theologischen" Faktoren auf das Problem der christlichen Spaltung und Einheit. Der theologische Dialog im Rahmen von "Glauben und Kirchenverfassung" erweist sich als breiter und repräsentativer dank der Mitgliedschaft der römisch-katholischen Kirche, die nicht Mitglied des ÖRK ist. Kraft der besonderen Bedeutung, die die Kommission "Glauben und Kirchenverfassung" für das orthodoxe Zeugnis besitzt, aber auch aufgrund der historischen und strukturellen Unabhängigkeit der Kommission vom ÖRK muss eine weitere Mitwirkung der russischen orthodoxen Kirche in dieser Kommission auch in dem Fall für möglich gehalten werden, dass sich der Status ihrer Mitwirkung im Weltrat der Kirchen ändern sollte.
Gleich vom Beginn ihrer Mitwirkung am Dialog mit der ökumenischen Bewegung an stießen die orthodoxen Theologen auf die unausweichliche Zweideutigkeit der im Dialog verwandten Sprache und Terminologie; darin kam das Bestreben der andersgläubigen Teilnehmer zum Ausdruck, einen Kompromiss in der Lehre erreichen zu wollen: "Wie in der Zeit, als die Gespräche stattfanden, mehrfach betont wurde, ist in der orthodoxen Kirche in Fragen des Glaubens und des religiösen Bewusstseins keinerlei Kompromiss statthaft, und man darf nicht mit ein und denselben Worten zwei Auffassungen, zwei verschiedene Vorstellungen und Erklärungen der gemeinsam angenommenen Formulierungen begründen. Und die Orthodoxen können nicht hoffen, dass eine Einheit, die auf solchen zweideutigen Formulierungen beruht, dauerhaft sein wird … Die orthodoxe Kirche meint, dass jedes beliebige Bündnis auf dem gemeinsamen Glauben gegründet sein muss … Z.B. hat eine Übereinstimmung im Hinblick auf die Notwendigkeit der Sakramente in der Kirche keinerlei praktischen Wert, wenn grundsätzliche Widersprüche zwischen den Kirchen in Bezug auf ihre Zahl, ihren Sinn und überhaupt das Wesen jedes der Sakramente, ihrer Wirksamkeit und Folgen bestehen … All dem zufolge können wir nicht die Idee einer Wiedervereinigung annehmen, die sich nur auf gemeinsame unbedeutende Elemente beschränkt, weil nach der Lehre der orthodoxen Kirche dort, wo es keine Gemeinsamkeit im Glauben gibt, auch keine Gemeinschaft in den Sakramenten bestehen kann. Wir können hier nicht einmal das in anderen Fällen geltende Prinzip der Ökonomie anwenden, das die orthodoxe Kirche häufig im Hinblick auf diejenigen angewandt hat, die sich ihr zukehrten" (Erklärung der orthodoxen Teilnehmer auf der Ersten Weltkonferenz von "Glauben und Kirchenverfassung", Lausanne 1927).
Die Teilnahme der Orthodoxen am Weltrat der Kirchen war niemals leicht. Die Jahrhunderte der christlichen Spaltung, des Lebens der westlichen Christenheit in der Entfremdung von der orthodoxen Fülle, führten zu beklagenswerten Ergebnissen. Vor allem zeigte sich, dass die gemeinsame Sprache, das gemeinsame System der Bedeutung der Begriffe, der gemeinsame Raum des Diskurses verloren gegangen waren. Sogar der Gebrauch der biblischen Sprache erwies sich im ökumenischen Dialog als zweideutig und künstlich. Formal gesehen können die Theologen sich in einer gemeinsamen Sprache verständigen, aber sogar wenn sie ein und dieselben Begriffe verwenden, drücken sie im Grunde genommen die unterschiedliche geistliche Erfahrung ihrer Traditionen aus. Gerade dieser tiefe, wesentliche Unterschied der geistlichen Erfahrung der Orthodoxie macht auch das Zeugnis zu einer außerordentlich komplexen Aufgabe. In den Jahren der Mitwirkung der Orthodoxen in der ökumenischen Bewegung ist klar geworden, dass das orthodoxe Zeugnis nur auf der Grundlage einer konsequenten, grundlegenden Kritik der Voraussetzungen, des Inhalts, des Ethos, des kulturhistorischen und sozialen Kontextes und der eigentlichen geistlichen Grundlagen der Andersgläubigen erfolgreich sein kann. Dafür aber ist ein klareres Verständnis der Problematik des Protestantismus selbst, ein Studium seiner theologischen und geistlichen Grundlagen notwendig. Klar geworden ist aber auch, dass die ganze Problematik des Dialogs mit Andersgläubigen, ihre innere Dynamik, als Antwort nicht fertige und starre Schemata, sondern eine beständige und schöpferische Auslegung der eigenen Tradition verlangt. Es ist klar geworden, dass die Mitwirkung in der ökumenischen Bewegung die Weiterentwicklung des orthodoxen theologischen Denkens machtvoll stimuliert, gerade in Antwort auf die Anfrage der Andersgläubigen. Von neuem tauchte mit aller Aktualität der Gedanke auf, dass das Evangelium, die Überlieferung der Kirche, die dogmatische Lehre jeweils gleichsam neu in einem neuen kulturhistorischen Kontext Fleisch werden müssen. Die ökumenischen Dialoge haben eine erstaunliche Gesetzmäßigkeit aufgedeckt: der Eintritt in die Diskussion mit Andersgläubigen über die scheinbar weit von den patristischen Fragen entfernten Probleme der Gegenwart und über Themen, die die Andersgläubigen bewegen, verlangt von den orthodoxen Theologen unweigerlich ein größeres Hineinwachsen in die patristische Tradition und das patristische Denken. Die Fähigkeit zum Dialog mit Andersgläubigen ist abhängig vom Maß der schöpferischen Verwurzelung in der eigenen Tradition.
Die russische orthodoxe Kirche nimmt im Verlauf all der Jahre ihrer Mitwirkung im Weltrat der Kirchen die Position konstruktiver Kritik in Bezug auf den ÖRK ein. Das ist mit den historisch bedingten Besonderheiten der Struktur des Weltrates der Kirchen verbunden. Gleich von Anfang an dominierte im ÖRK das protestantische Element. Die Orthodoxen, die an der Arbeit des ÖRK teilnahmen, verstanden, dass sie ihr Zeugnis unter komplexen Bedingungen zu geben hatten, und sogar die Möglichkeit, das eine oder andere Thema zu erörtern, letztlich einer Abstimmung unterlag, bei der sie in der Minderheit sein konnten. Es geht nicht darum, dass eine solche Verfahrensweise den Orthodoxen etwas aufzwingen konnte - die Beschlüsse, die im ÖRK angenommenen werden, haben keinerlei verbindliche Bedeutung für die Mitglieder des ÖRK. Doch die Thematik der Diskussion im Weltrat der Kirchen wurde und wird bis jetzt in bedeutendem Maße gerade von der protestantischen Mehrheit bestimmt. Selbstverständlich haben die Orthodoxen auch unter diesen Bedingungen frei und offen ihre Meinung entsprechend der Überlieferung der Kirche dargestellt, aber diese Meinung erschien häufig als "Reaktion", als "Sondervotum" in Bezug auf die Meinung der andersgläubigen Mehrheit. Der Weltrat der Kirchen erwies sich als einzigartiges Rednerforum, als wirkliches Weltforum, auf dem die Orthodoxen die Möglichkeit haben, den Andersgläubigen den Glauben der Kirche darzustellen. Und diese Tatsache kann nicht durch all jene Schwierigkeiten entwertet werden, auf die die Orthodoxen im Weltrat der Kirchen treffen.
Aufgrund der vorhandenen Strukturen des ÖRK sind die Orthodoxen mitunter gezwungen, im Weltrat der Kirchen Probleme zu erörtern, die ihnen zur Erörterung aufgedrängt werden. Gleichzeitig aber bleiben Fragen, die die orthodoxen Kirchen tatsächlich beunruhigen, außerhalb des Gesichtsfeldes des ÖRK. Daraus ergibt sich ein sehr ernsthaftes Hindernis für das Zeugnis, das die Orthodoxen im Rat wahrzunehmen haben. Einfach kraft ihrer strukturellen Minderheit können die Orthodoxen keinen Einfluss auf die Formulierung der Thematik des ÖRK ausüben. Im Rahmen der gegenwärtigen Strukturen des ÖRK sind die Orthodoxen gezwungen, die volle Verantwortung für die Tagesordnung und die Beschlüsse mitzutragen, die im ÖRK angenommen werden und die sich mitunter für die orthodoxe Glaubenslehre und Tradition als unannehmbar erweisen. Dieser Umstand führt dazu, dass die Mitgliedschaft mit einem solchen Grad der Verpflichtungen scharfe Kritik von Seiten der Geistlichkeit und der Laien einzelner orthodoxer Kirchen hervorruft.
Auf der Tagesordnung des ÖRK begannen mit der Zeit Themen aufzutauchen, die sich für die orthodoxe Überlieferung als völlig unannehmbar erwiesen. Es ist völlig gerechtfertigt, von einer wachsenden Krise des ÖRK zu sprechen, die ihrerseits verbunden ist mit der Krise einer beträchtlichen Anzahl von protestantischen Denominationen, die Mitglieder des ÖRK sind, und einer Krise der ökumenischen Bewegung im Ganzen. Die vom ÖRK erklärten Aufgaben treten heute in einen völligen Widerspruch zur Praxis: immer offenkundiger wird der Bruch zwischen der protestantischen Mehrheit, die sich auf dem Boden der Liberalisierung annähert, und der orthodoxen Minderheit. Letztlich ist in den protestantischen Kirchen und im Weltrat der Kirchen eine Entwicklung möglich, der die Orthodoxen nicht mehr zustimmen können, weder ihren ekklesiologischen, noch ihren dogmatischen, noch ihren sittlichen Vorstellungen nach.
Die Bischofssynode der russischen orthodoxen Kirche im Jahre 1997 hat die Situation der Mitgliedschaft der russischen orthodoxen Kirche im Weltrat der Kirchen und die Frage der damit verbundenen Probleme im Zusammenhang mit der Verstärkung der negativen Tendenzen im Rat aufmerksam geprüft. Um die Frage nach der Teilnahme oder Nicht-Teilnahme der russischen orthodoxen Kirche im ÖRK zu entscheiden, hat die Ehrwürdige Bischofssynode den Beschluss gefasst, dieses Problem auf panorthodoxer Ebene zu erörtern. In der Bestimmung des Konzils heißt es: "Das Urteil über die Teilnahme oder Nicht-Teilnahme der Vertreter der russischen orthodoxen Kirche an bilateralen und multilateralen interkonfessionellen theologischen Dialogen sowie an der Arbeit des ÖRK und anderen internationalen christlichen Organisationen ist auf der Bischofssynode gemäß den Ergebnissen des panorthodoxen Beschlusses zu fällen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Teilnahme von Vertretern der russischen orthodoxen Kirche an der Arbeit der internationalen christlichen Organisationen fortzusetzen, da dem orthodoxen Zeugnis in der durch die Sünde gespaltenen christlichen Welt im gegenwärtigen Moment eine besondere Bedeutung zukommt".
Die auf Initiative der russischen orthodoxen Kirche und der Serbischen orthodoxen Kirche in Thessalonike (29.4. - 1.5.1998) einberufene Panorthodoxe Konferenz kam zu dem Schluss, dass die jetzige Struktur des ÖRK für die Orthodoxen unannehmbar ist und dass eine weitere Teilnahme im Rat nur unter der Bedingung einer "radikalen Reform" des Weltrates der Kirchen möglich ist. In Verbindung mit dieser Erklärung wurde auf der achten Vollversammlung des ÖRK beschlossen, eine Sonderkommission des Weltrates der Kirchen für die gegenseitigen Beziehungen mit den Orthodoxen zu schaffen. Zum Mandat dieser Kommission gehört die aufmerksame Prüfung des gesamten Fragen- und Problemkomplexes der orthodoxen Mitwirkung im ÖRK und der Vorschlag möglicher Varianten zur Umgestaltung des Rates. Gemäß dem Beschluss des panorthodoxen Treffens in Thessalonike nimmt die russische orthodoxe Kirche während der Arbeit dieser Kommission an der Arbeit des ÖRK mit einem "begrenzten Mandat" teil. Auf diese Weise ist die jetzige Periode in den Beziehungen der russischen orthodoxen Kirche zum Weltrat der Kirchen, in der ein neues Modell des ÖRK und Weisen einer Transformation erörtert werden, eine Übergangsphase. In dieser Etappe des Übergangs zu einem neuen Modell des ÖRK sollte die russische orthodoxe Kirche alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ihrer Anwesenheit im ÖRK gebrauchen, um ihre Position zu den Fragen, die Kritik von Seiten der Orthodoxen hervorrufen, so weit wie möglich zu verbreiten.
Die Orthodoxen verhalten sich äußerst verantwortungsbewusst zu ihrer Mitwirkung im ÖRK, und gerade deshalb warnen sie: die jetzige Entwicklung des ÖRK geht in eine gefährliche und unangebrachte Richtung. Sie konstatieren eine Krise des Weltrats der Kirchen und rufen dazu auf, das gesamte jetzige Ethos, die Prinzipien des ÖRK, zu überprüfen. Daher darf unter der radikalen Reform des ÖRK nicht eine Veränderung der "Formen" bei unverändertem Inhalt verstanden werden, keine Re-"formierung", sondern eine Veränderung gerade im Wesen des ÖRK. Jeder neue Schritt in Richtung auf eine Verstärkung der protestantischen Ekklesiologie im ÖRK wird ein geistlicher Selbstmord des ÖRK sein. Die Orthodoxen, die eine "Reform" des ÖRK fordern, bestehen darauf, dass es im ÖRK die Möglichkeit zu einem vollgültigen orthodoxen Zeugnis über die Wahrheit der Kirche, über die Prinzipien der Einheit geben muss. Wenn es keine Möglichkeit zu einem solchen Zeugnis gibt, wenn die Tätigkeit des ÖRK sich immer weiter von den ursprünglichen Zielen der ökumenischen Bewegung - dem Streben nach Wiederherstellung der christlichen Einheit - entfernt, dann verliert der ÖRK seinen geistlichen Wert. Der ÖRK ist eine dynamische Erscheinung, in der eine "Stärkung" und eine "Schwächung" der Elemente der Katholizität möglich sind. Im Augenblick ist im ÖRK das Bestreben vorhanden, sich mit einer "unvollständigen Koinonia " zufriedenzugeben, die bestehende Spaltung als normales und schwaches Maß an Gemeinschaft zu stabilisieren, den erlangten Status der "Gemeinsamkeit" in den Konzeptionen einer "unvollständigen (wachsenden) Gemeinschaft", einer "beispielhaften Vielfalt" zu fixieren. Die heutige ökumenische Bewegung befindet sich in einer Krise. Ursache dafür ist die Abschwächung im Streben nach Einheit, die Abschwächung in der Bereitschaft und im Willen zur "Umkehr", zur katholischen Erneuerung. Gerade dies veranlasst in erster Linie die russische orthodoxe Kirche dazu, ihr Verhältnis zum Weltrat der Kirchen zu überprüfen. Die negativen Tendenzen im ÖRK führen dazu, dass die russische orthodoxe Kirche sich vor die Notwendigkeit gestellt sieht, bereit sein zu müssen, ihren Status in den Beziehungen zum ÖRK zu ändern. Allerdings sollte ein solcher Beschluss erst getroffen werden, wenn alle Mittel zur Wandlung im Charakter des ÖRK voll ausgeschöpft sind.

 

Übersetzung: Prof. Dr. Barbara Hallensleben, Fribourg