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Vladimir Solov’ev




Vasilij Puzko
Kaluga

Die Prophetie von Vladimir Solov’ev


Durch das griechische Wort profhteia kann, wie bekannt, sowohl die Prophetie selbst verstanden werden, als auch die Gabe der Prophetie. Wahrscheinlich kann man die eine wie die andere Bedeutung auf den Inhalt der "Kurzen Erzählung vom Antichrist" anwenden, die in die Reihe der Bücher von Vladimir Solov’ev (1853-1900) als eine der letzten einzuordnen ist. Die "Kurze Erzählung vom Antichrist" ist das Ergebnis von jahrelangen historiosophianischen Überlegungen und zusätzlich ein besonderes Vermächtnis des Philosophen, der wegen seiner Außergewöhnlichkeit ein Fremder unter den Seinen blieb. Die literarische Form der Erzählung mit der Darlegung der Ereignisse in der vergangenen Zeit, kann den Leser nicht desinteressieren, da ja völlig klar ist, dass die Rede vom Zukünftigen ist.

Wenn man bedenkt, dass der Autor schon im Jahre 1887 unter den noch vorzubereitenden Werken eines "Über den Antichrist" nannte, kann man davon sprechen, dass die Darlegung in den "Drei Gesprächen" von Anfang an durchdacht war, lange bevor der Artikel geschrieben wurde. Folglich maß ihr Vladimir Solov’ev eine besondere Bedeutung bei.

Aber seine Befürchtung, dass der Text der Lächerlichkeit preisgegeben werden könnte, was den Autor zwingen könnte, die Erzählung im abschließenden "Drittem Gespräch "zu verstecken", kann man verstehen. Vor alem wenn man weiß, wieviel Gelächter die Lesung durch den Autor in der Großen Fastenzeit 1900 in Petersburg hervorrief. Später, im Mai desselben Jahres, las Vladimir Solov’ev denselben Text am Abend bei seinem Bruder, in Moskau und nach den Worten des damals anwesenden Dichters Andrej Belij bemerkte er: "Ich habe das geschrieben, um meine endgültige Sicht über die kirchliche Frage aufzuzeigen". Die Drucklegung der "Drei Gespräche" in den "Büchern der Woche" war schon von Mai 1899 bis Januar 1900 erfolgt. Das heißt kurz vor dem Tod des Autors am 31. Juli 1900. Bedeutsam ist, dass Vladimir Solov’ev als Epigraph zur "Kurzen Erzählung über den Antichrist" einen Abschnitt seines Gedichtes "Panmongolismus" auswählte, das am 1. Oktober 1894 geschrieben worden war, das aber zum ersten mal im Jahre 1905 gedruckt wurde, schon nach dem Tod des Autors (1).

Die Entwicklung und das Aufblühen des Panmongolismus denkt sich Vladimir Solov’ev als eines der bedeutsamsten Erscheinungen der Weltgeschichte des XX. Jahrhunderts. Die Besetzung Koreas und Chinas durch die Japaner war ein Ereignis des ausgehenden XIX. Jahrhunderts. Aber der Philosoph konnte sich schwer vorstellen, dass in der vorgesehen Zeit die "schnell mobilisierten russischen Soldaten" real weder in Polen und Litauen, noch in Kiew und Wolhynien, weder, und noch viel weniger, in Finnland gegenwärtig sein könnten. Bogdychan, "mütterlicherseits ein Chinese, in sich vereinigend die chinesische Schlauheit und Räuberei mit der japanischen Energie, Opferbereitschaft und Unternehmungsbereitschaft", nach dem Schema Solov’evs, dringt letztlich bis nach Paris vor, und da er keine Möglichkeit findet, seine Soldaten nach Britannien überzusetzen "lässt er in Europa eine genügend große Besatzungsmacht und kehrt nach Osten zurück und übernimmt Marineunternehmungen nach Amerika und Australien" (2). Nach den Worten des Autors "liegt das mongolische Joch ein halbes Jahrhundert auf Europa", aber das Europa des XXI. Jahrhunderts besteht dann aus einem Bund von mehr oder weniger demokratischen Staaten – die Europäische Union von Staaten" Heute ist das Realität.

Solov’ev erklärte selbst in seinem Aufsatz "Betreffs der letzten Geschehnisse: Brief an die Redaktion" folgendes: Wissen, weder natürliches noch übernatürliches, hatte ich selbstverständlich nicht, bisher habe ich zusammen mit allen anderen davon nur in den Zeitungen gelesen. Aber die Voraussicht und das Vorgefühl dieser Ereignisse und des Ganzen, das darauffolgend droht, das war wirklich in mir und es wurde von mir lange vorher vorausgesagt vor dem jetzigen Februar, zum Beispiel in dem Aufsatz, der weitaus früher, vor zehn Jahren, erschien: "China und Europa" (Russkoje Obozrenije 189o). Ein besonders starkes Vorahnen der mongolischen Bedrohung erfuhr ich im Herbst 1894 (wenn mich das Gedächtnis nicht täuscht, war es der 1. Oktober) am finnischen See Saim. Das dadurch entstandenen Gedicht "Panmongolismus" schrieb ich für einige Freunde, aber die ersten vier Verse als Epigraph zur Erzählung vom Antichrist:

"Panmongolismus" – Wort der Schrecken!
Doch mir gefällt der wilde Klang,
Als wolle Gott uns nun entdecken
Des letzten Schicksals schweren Gang.

In dieser Erwartung einer historischen Katastrophe im Fernen Osten war ich natürlich nicht allein. Eine solche Sicht wird in letzter Zeit von verschiedenen Personen geteilt, wie das auch im Vorwort zu den "Drei Gesprächen" gesagt ist" (3).Vergessen wir darüber nicht, dass die zitierten Verse schon vor einigen Jahren vor dem russisch-japanischen Krieg geschrieben wurden, der im Jahre 1904 ausbrach.

Vl. Solov’ev beschreibt weiter genau "einen besonderen Menschen" aus der Mitte einiger Gläubiger-Spiritualisten", der "sich zu dem ernannte, was in Wirklichkeit Christus zukam". Es ist die Rede vom Antichrist, "dem großen Menschen des XXI. Jahrhunderts". In welchem Maße kann man die "Drei Gespräche" der christlichen Eschatologie zuweisen, oder muss man sie in das Gebiet der wissenschaftlichen Phantasterei einordnen? Die Lehre vom "Ende der Tage" wurde in bedeutendem Maße schon durch die alttestamentlichen Propheten besonders Isaia, Ezechiel und Daniel dargelegt, die den "großen Tag des Herrn" ankündigten,. Die Christen verbreiteten und vertieften darüber ihre Kenntnis durch das Buch der Offenbarung des heiligen Apostels Johannes, dem viele Kommentare gewidmet wurden. Hier ist nicht der Ort, die Gesamtübersicht der Lehre der Bibel darzulegen, und auch nicht , den wertvollen Inhalt in der belletristischen Darlegung von "Kurze Erzählung vom Antichrist". Aber ein davon hier ausgewählter Abschnitt charakterisiert die Vorstellung dieses äußerst gebildeten Autors, der die künftigen Ereignisse durch das Prisma seiner Zeit sah. Im Unterschied zu den Handschriften der Altgläubigen mit den Erklärungen des heiligen Andreas von Kreta, in deren Illustrationen der Antichrist kaum personifiziert dargestellt wird (4), so wird hier über sein Auftreten im Kontext der damaligen Zeit nachgedacht. Der Philosoph sieht in der von ihm dargelegten Erzählung, wenigstens einen wesentlichen Unterschied zwischen Vision und Darstellung.

Das alles erlaubt uns, auf die "Drei Gespräche" und auf die darin eingefügte "Erzählung vom Antichrist" als eine besonderes literarisches Genus zu sehen, das versucht, in die Zukunft zu schauen. Es erschienen auch Bücher ähnlichen Charakters in Westeuropa, und eines von ihnen (der Roman des englischen Autors Torn "Als das Dunkel kam") wurde in die russische Sprache übersetzt (5). Es scheint, dass die an verschiedenen Orten wirkenden Persönlichkeiten dasselbe fühlten. Der Antichrist ist in der Darstellung von Solov’ev ein "Übermensch", dessen Idee, von F. Nietzsche vorgelegt, von Solov’ev im Jahre 1899 einer Analyse unterzogen wurde, in der er aufzeigte, dass sie in dieser Frage auf ganz anderen Positionen stehen (6). Und das ist verständlich, da ja die antichristliche Position von F. Nietzsche in äußerster Genauigkeit im Aufsatz "Antichrist" erschien, dessen erste Ausgabe im Jahre 1895 gedruckt wurde. Der russische Philosoph prognostiziert dabei die Zukunft, darum verbirgt er nichts, und die erste Erscheinung des Antichrist sieht er in der Leugnung der Realität der Auferstehung Christi. Der Apostel Paulus sagt: "Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann ist unser Glaube sinnlos" (1 Kor 15,17).

Den "kommenden Menschen" denkt sich Solov’ev als ein fast von allen für die Stellung des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Europa Gewählten, der seine Vertreter für alle Länder beider Welthälften ernennt "aus europäischen gebildeten und ihm ergebenen Menschen, der in dem Ruf eines großen Friedenbringers steht, eines sozialen Reformers, der in seinen Händen die Finanzen und die kolossalen Ländereien weltweit ordnet. Neben dem Imperator-Übermenschen taucht dann der große Zauberer aus dem Fernen Osten auf, mit Namen Apollonius, der nach dem Volksglauben "das Feuer vom Himmel herabruft", halb-asiatisch und halb-jüdisch, katholischer Bischof in partibus infidelium. Diese Bezeichnung des "teilweise Gläubigen" wird auch durch unerwartete Ereignisse aufgezeigt, wie die Vertreibung des Papstes aus Rom, der "nach langen Herumirren Zuflucht in Petersburg findet unter der Bedingung, sich der Propaganda zu enthalten, dort und im ganzen Land. Es wird die Vereinigung eines bedeutenden Teils der anglikanischen Kirche mit der katholischen Kirche dargestellt und die Reinigung der evangelischen Kirche "von ihren sehr negativen Tendenzen".

Etwas breiter stellt der Autor die Lage des Christentums im eigenen Land dar: "Nachdem die politischen Ereignisse die offizielle Situation der Kirche verändert hatten, auch wenn sie viele Millionen ihrer Gläubigen verlor, die nur nominelle Glieder ihrer Kirche waren, erlebte die Russische Orthodoxe Kirche dann die Freude der Vereinigung mit dem besseren Teil der Altgläubigen und auch vieler Sektierer mit einer positiven religiösen Ausrichtung. Diese erneuerte Kirche, die nicht an Zahl wuchs, erwuchs in der Kraft des Geistes, den sie besonders in ihrem inneren Kampf gegen die sich im Volk und in der Gesellschaft ausbreitenden radikalen Sekten zeigte, die dämonische und satanische Elemente aufwiesen". Wenn man bedenkt, dass wir in der heutigen Zeit fast an der Zeitenwende stehen, dann muss man teils gebührend den Scharfsinn von Vladimir Solov’ev anerkennen, teils aber auch sagen, dass seine Wünsche nicht in Erfüllung gingen, wie "die Freude der Vereinigung des besseren Teils der Altgläubigen und auch vieler Sekten mit einer positiven religiösen Ausrichtung". Leider hat heute die Orthodoxie ein Problem, das man sich vor hundert Jahren noch nicht vorstellen konnte, bis hin zu den Tendenzen des kirchlichen Separatismus. Die Gründe dafür sind verschiedene, aber nicht hauptsächlich die politischen.

Höhepunkt der "Kurzen Erzählung vom Antichrist" ist natürlich die weit ausgeführte Beschreibung des in Jerusalem stattfinden allgemeinen Konzils. Der Autor bemerkt: "Palästina war damals ein autonomes Gebiet, das vornehmlich von Juden bewohnt und regiert wurde. Jerusalem war eine freie, wurde aber nun zur Kaiserstadt.

Als diese Zeilen niedergeschrieben wurden gab es auf der politischen Karte den Staat Israel nicht, der erst nach mehr als vierzig Jahren entstand. Dann das Konzil der katholischen und der orthodoxen Hierarchen, der niederen Geistlichkeit und der Laien und auch der Vertreter der evangelischen Konfession. Vladimir Solov’ev legt hier seine Vorstellungen über dieses außergewöhnlich Ereignis dar und stellt Einzelheiten des Verlaufs dar. Es wirken sehr sympathische Figuren: Papst Petrus II, dann Staretz Johannes, der nicht offizielle Anführer der Orthodoxen, ein episcopus vagus im Ruhestand, und dann der deutsche Theologe Professor Ernst Pauli.

Gerade diese aber wollten mit ihrer sehr zusammengeschmolzenen Umgebung nicht auf der Estrade beim Kaiser Platz nehmen. Der Staretz ruft den Kaiser auf: "Bekenne jetzt hier vor uns Jesus Christus, den Sohn Gottes, der im Fleisch gekommen ist, der auferstanden ist und wiederkommen wird – bekenne ihn, und wir werden dich in Liebe aufnehmen als den Vorläufer Seiner zweiten Wiederkunft". Aber er erkennt im Imperator den Antichrist und er stirbt unter dem flammenden Kugelblitz. Danach spricht Papst Petrus II über den Imperator das Anathema, danach fällt er leblos um.

Professor Pauli vollzieht den Akt der Versöhnung. Auf Anweisung des Imperators wählt das Kollegium den Magier Apollonius zum neuen Papst, der den Akt der Vereinigung der Kirchen unterschreibt. Es folgen eigenartige Feierlichkeiten. Dann geschieht ein Wunder: Papst Petrus II und Staretz Johannes stehen wieder auf und erst dann geschieht die wirkliche Einigung der Kirchen "in dunkler Nacht und an einem einsamen Ort" ("Doch das Dunkel der Nacht wurde plötzlich durch einen hellen Glanz erleuchtet, und am Himmel erschien ein Großes Zeichen: ein Weib, mit der Sonne bekleidet, und der Mond zu ihren Füßen, und auf ihrem Haupt ein Krone von zwölf Sternen. Die Erscheinung verharrte einige Zeit an der Stelle und bewegte sich dann langsam nach Süden. Papst Petrus erhob seinen Krummstab und rief: "Das ist unser Panier, ihm gehen wir nach!" Und begleitete von den beiden Ältesten und der ganzen Christenheit ging er der Erscheinung nach – zum Berge Gottes, zum Sinai...ENDE – s. Znamenaja, Hodigitria d. Red.) Die außergewöhnliche Kraft der künstlerischen Phantasie gibt der Erzählung "Drei Gespräche" den Charakter einer prophetischen Voraussicht, eine Voraussicht, die sich erfüllen kann, wenn auch in einer völlig anderen Form. Hier ist nur ein gewünschtes, aber ein nicht reales Geschehen, nicht so sehr im historischen als vielmehr im mystischen Kontext gedacht. Das Thema des universalen Christentums geht, wie bekannt, wie ein roter Faden durch alle Werke des Philosophen. Es wurde in den letzten Jahren seines Lebens durch die Prophezeiung einer Verkündigung des Evangeliums auf der ganzen Erde ergänzt in dem Sinn, dass die Wahrheit selbst der Welt erscheinen wird mit einer solchen Augenscheinlichkeit, dass man ihr bewusst nicht entfliehen kann, oder sie bewusst ablehnen muss. Da er vom Gefühl seines Endes erfasst wurde, bemüht sich unser Denker, der durch den Verstand zum Glauben kam, mit allen Kräften das Zukünftige zu durchschauen, wie es sich ihm darstellte. Der Dienst als Prophet, das muss man anerkennen, war nur einer der Momente in der Synthese von Vladimir Solov’ev, der ein großes und äußerst schwieriges philosophisches Erbe hinterlassen hat (7). Nicht zufällig gab es schon eine Reihe von Vorträgen unter den Themen, die zum Gedächtnis des Millenniums der Taufe der Rus’ abgehalten worden waren (8). Dadurch wurde schon die Stellung von Vladimir Solov’ev in der russischen kirchlichen Geschichte anerkannt.

Es bleibt zu sagen, dass die Voraussagen von Vladimir Solov’ev sich zum heutigen Tag ihre Aktualität behalten haben.

Es sind neue Schwierigkeiten aufgetaucht, aber wird nicht dann gerade die entscheidende Lösung gefunden, wenn solch extreme Situationen auftreten, wie sie Vladimir Solov’ev so klar in seiner "Kurzen Erzählung vom Antichrist" beschrieben hat?