OKI-Logo Symposion über
Vladimir Solov’ev




Rudolf Prockschi
Wien/Würzburg

Vladimir Solov’ev und Bischof Stroßmayer

Vorbemerkungen:

  1. Durch Vermittlung des bekannten kroatischen Gelehrten und katholischen Priester (er war erster Präsident der 1866 neue gegründeten Akademie der Wissenschaften und Künste in Zagreb), Kanoikus Franciscus Ra¹ ki (1829-1894) und der Fürstin Volkonskaja sind Solov’ev und Bischof Stroßmayer bekanntgeworden. Neben einer herzlicher Briefkorrespondenz kam es auch - aufgrund von Einladungen Bischof Stroßmayers - zu zwei längeren Aufenthalten Solov’evs in Djakovo und Rohitsch-Sauerbrunn (Kuraufenthalt des Bischofs), die zu einer großen gegenseitigen Wertschätzung führte und einer tief-geistigen und freundschaft-lichen Beziehung führte.

  2. Gerade in der Periode der geistigen Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche (wird in der Fachliteratur als katholisch-messianistische Lebensperiode bezeichnet; 1883-1889) war dieser intensive Kontakt zu einem katholischen Bischof für Solov’ev sehr wertvoll und befruchtend. Solov’ev war überzeugt, dass die Verwirklichkeit der Einheit aller Christen (und in Folge aller Menschen) in einem diesseitigen Reich von der Vereinigung der russischen mit der römischen Kirche ausgehen müsste. Andererseits war diese herzliche Verbindung Anlass zu herber Kritik von Seiten seiner Gegner.

  3. Ich möchte im folgenden - wie bei der Einladung zu diesem Symposium schon angekündigt - mehr Solov’ev selbst zu Wort kommen lassen und nur zum besseren Verständnis einige Fakten und Daten ergänzen. Vor allem stütze ich mich bei meinen Ausführungen auf den von Solov’ev in Zagreb (Agram) am 9./21. Sept. 1886 abgefassten Brief an Bischof Stroßmayer und auf den Aufsatz von Vladimir Szylkarski (Prof. an der Universität Bonn) "Solowjew und Stroßmayer", der in den ersten beiden Jahrgängen (1952 und 1953) der Zeitschrift "Ostkirchliche Studien" (Würzburg) in Fortsetzungen abgedruckt ist.

Bevor ich auf den Inhalt des eben zitierten Briefes, der meines Erachtens bis in unsere Tage im ökumenischen Gespräch bedenkenswert ist, näher eingehe, will ich zum besseren Verständnis mit einigen Strichen Bischof Stroßmayer kurz vorstellen, da ich annehme, dass dieser Mann vielleicht nicht so allgemein bekannt ist.

Josip Juraj (Josef Georg) Stroßmayer wurde am 4. Febr. 1815 in Esseg (Osijek; heute im Osten Kroatiens) geboren. Seine Familie lebte in sehr bescheidenen Verhältnissen. Sein Vater war aus Linz (Oberösterreich) nach Kroatien ausgewandert. Seine Philosophischen Studien betrieb der sehr begabte Jüngling in Budapest, die theologischen in Wien. 1838 wurde er zum Priester geweiht; ab 1840 war er Theologie-Professer in Djakovo. 1847 wurde er zum k. k. Hofkaplan und Spiritualdirektor im "Frintaneum" in Wien ernannt, doch schon zwei Jahre später, im Alter von 35 Jahren zum Bischof von Sirmium und Bosnien geweiht mit dem Sitz in Djakovo, einer kleinen kroatischen Stadt, die erst durch ihn berühmt wurde. Aufgrund der reichen Dotierung des Bistums konnte Stroßmayer für die kulturelle Förderung seines Volkes große Mittel aufbringen: Bau einer Basilika in Djakovo; Gründung von zahlreichen Volksschulen in seiner Heimat; Gründung der Akademie der Wissenschaften und Künste und des Priesterseminars in Zagreb, ebenso der Universität und der Bildergalerie. Bischof Stroßmayer war ein Vorkämpfer für die Einigung der Kirchen. Aus doktrinären und praktisch-ökumenischen Gründen trat er beim I. Vatikanischen Konzil entschieden gegen die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes auf. Durch sein unbeugsames Eintreten gegen alle Versuche der ungarischen Regierung, sein Volk zu magyarisieren und sein offenes Bekenntnis zu den panslavischen, russenfreundlichen Anschauungen kam es zu mehreren Zusammenstößen mit der Regierung Österreich-Ungarn, die von Rom seine Absetzung forderte. Doch Papst Leo XIII. (1878-1903), der ihm sehr gewogen war und ihn sogar ins Kardinalskollegium aufnehmen wollte, und sein Staatssekretär Kardinal Rampolla waren zu einem solchen Schritt nicht bereit.

Stroßmayer war ein kroatischer Patriot und ein begeisterter Slavophiler. Daraus erwuchs der tiefe Wunsch, mit den orthodoxen slawischen Brüdern und Schwestern auch im Glauben vereint zu sein. Er starb hochbetagt am 8. April 1905 in Djakovo.

"Alles dreht sich jetzt bei mir um die Frage der Kirchenvereinigung: was ich auch zu schreiben beginne, immer endet es mit ‘Ceterum censeo instaurandam esse ecclesiae unitatem’" (Zitat aus einem Brief Solov’evs an Kirejev aus dem Jahre 1883). Innerlich gedrängt vom Vermächtnis des Herrn "dass alle Eins seien" forscht Solov’ev als unbeugsamer Wahrheitssucher nach einem neuen Weg, weil er über die Zustände in seinem Vaterland und die Ohnmacht seiner Kirche zutiefst enttäuscht ist. Um das Ziel der Einheit der Christen verwirklichen zu können, sieht er in der Hinwendung zur römischen Kirche eine neue zukunftsträchtige Perspektive ohne dass er dabei seine orthodoxen Wurzeln über Bord wirft und seiner (orthodoxen) Kirche untreu wird. In dieser Phase beginnt der für ihn sicher bedeutsame Kontakt mit Bischof Stroßmayer aus Kroatien.

Mit großer Freude nimmt Solov’ev die Einladung des Bischofs zu einem Besuch bei ihm an; dies wird deutlich in seiner Antwortbrief an Stroßmayer vom 8. Dez. 1885: "Es war für mich eine große Freude, Ihr teures Schreiben und die liebenswürdige Einladung zu erhalten. Wenn es Gott gefällt, will ich am Ende des gegenwärtigen Winters nach Zagreb und Djakovo kommen, um sie persönlich kennenzulernen, Sie zu begrüßen und den Segen zu empfangen von dem berühmten Diener der Kirche und dem Gönner des Slawentums und ihre Gedanken und Ratschläge zu hören in unserer gemeinsamen großen Sache - der Vereinigung der Kirchen. Von dieser Vereinigung hängen die Schicksale Russlands, des Slawentums und der ganzen Welt ab. Wir Russen, wir Rechtgläubige und der ganze Osten können gar nichts ausrichten, solange wir die Sünde der kirchlichen Trennung nicht austilgen, solange wir der hohepriesterlichen Macht nicht das erwiesen haben, was ihr gebührt. ... - Mein Herz brennt vor Freude beim Gedanken, dass ich einen solchen Führer wie Sie habe. Es erhalte Gott auf lange Jahre Ihr kostbares Haupt für das Heil der heiligen Kirche und des slawischen Volkes ..."

Es vergeht mehr als ein halbes Jahr, bis Solov’ev die angekündigte Reise unternehmen kann. Am 29. Juni 1886 schreibt er aus Wien an Bischof Stroßmayer, dass er in einigen Tagen nach Zagreb und Djakovo kommen werde. Als er Anfang Juli nach Zagreb kommt, wird er mit offenen Armen im Hause des oben erwähnten katholischen Kanonikus Ra¹ ki empfangen. Er bleibt dort ca. 2 Wochen und macht sich dann auf den Weg nach Bad Rohitsch-Sauerbrunn, wo der Bischof Kur machte und es zu der ersten persönlichen Begegnung zwischen den beiden kam. Solov’ev blieb zehn Tage dort. Nach einem neuerlichen Aufenthalt in Zagreb reist Solov’ev nach Djakovo, wo ihn der Bischof in seiner Residenz als Gast aufnimmt. Die Begegnung macht auf Solov’ev einen starken Eindruck - er schreibt in einem Brief an Racki: "Der Bischof spricht mit mir bald lateinisch, bald französisch, bald chorwatisch - und in allen Sprachen ist es gleich angenehm, seine begeisterte Rede zu hören. Ich stimme vollkommen dem Pater Franke zu, dass kein (anderes) Volk einen solchen Bischof hat." In den Gesprächen entwickelt Solov’ev mit Stroßmayer seine Ideen von der universalen, auf dem Felsen St. Petri erbauten Kirche und freut sich über die Zustimmung des Bischofs. Stroßmayer bittet ihn, um eine kurze schriftliche Zusammenfassung dieser Ideen auszuarbeiten, was Solov’ev nach der Rückkehr nach Zagreb in einem Pro memoria sofort entwirft und dem Bischof am 9./21. Sept. 1886 zusendet.

Im ersten Absatz des Briefes wird die großen Wertschätzung Solov’ev gegenüber Bischof Stroßmayers deutlich: Er sieht in ihm ein Werkzeug der göttlichen Vorsehung und ein Segen für die slawische Völkerfamilie, die es gilt mit Russland an der Spitze zusammenzuführen und die beklagenswerte Trennung von der großen katholischen Einheit zu überwinden. "Ihr großmütiges Herz hat sich diesem immer noch zukunftsträchtigen Orient erschlossen, und ihre lichtvolle Einsicht hat sie erkennen lassen, dass das entscheidende Hindernis der Vollendung dieser Zukunft in dem tausendjährigen Missverständnis bestehen, das die beiden Hälften der großen christlichen Welt immer noch von einander absondert und der gegenseitigen Unterstützung beraubt."

Im folgenden wollen wir die Grundthesen Solov’evs, die er in diesem kleinen Pro memoria zusammenfasst, vorstellen:

  1. Es besteht kein dogmatischer Gegensatz zwischen den beiden Kirchen.

    "Die Ostkirche hat niemals eine Lehre, die der katholischen Wahrheit widerspricht, als verpflichtendes Dogma definiert und den Gläubigen als Glaubenssatz vorgelegt. Trotz unterschiedlicher Ausdrucksweisen von verschiedenen Theologenschulen gibt es in den dogmatischen Wahrheiten keinen Widerspruch, keinen fundamentalen Gegensatz zwischen katholischer und orthodoxer Kirche. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Lehre einer theologischen Schule und der Lehre der Kirche. "Es ist eine feststehende Tatsache, dass die Lehrmeinungen unserer ostkirchlichen Theologen, die mehr oder weniger der katholischen Wahrheit widerstreiten, im allgemeinen weder von ihnen selbst als verpflichtende und unfehlbare Glaubenssätze oder als gleichrangig mit den Entscheidungen der ökumenischen Konzilien verkündet, noch auch von den Gläubigen als solche angenommen worden sind."

  2. Die Dogmen der russischen Kirchen sind durchaus katholisch.

    Die Symbola von Nicäa und Konstantinopel und die Definitionen des vierten, sechsten und siebenten ökumenischen Konzils sind Wahrheiten der Universalen Kirche und Wahrheiten des orthodoxen Glaubens, also gemeinsames Erbe. "In der Tat sind die Dogmen unserer Kirche, weil sie auf die Entscheidungen der ökumenischen Konzilen zurückgehen, konsequenterweise durchaus orthodox und katholisch, und die Lehren der Theologen, die mit dem Katholizismus in Widerspruch stehen, sind keine durch die Kirche definierten Glaubenssätze."

  3. Es gibt keine gesamtorthodoxe einheitliche und verbindliche Stellungnahme zum Katholizismus.

    Solov’ev führt an, dass "in der Ostkirche keine innere Übereinstimmung, keine Einheit der Ansichten in Bezug auf die katholische Kirche" bestehe, weil kein ökumenisches Konzil im Orient, also keine kompetente Autorität über dieses Faktum entscheiden konnte. Dies ist für ihn ein sehr günstiger Umstand für das Anliegen der Wiedervereinigung, weil "... unser Schisma für uns selbst nur de facto, aber keineswegs de iure besteht." Die Spannungsbogen der verschiedenen, oft gegensätzlichen Meinungen von russischen und griechischen Theologen in bezug auf den Katholizismus reicht von der Behauptung, die katholische Kirche stehe außerhalb der wahren Kirche, ja auch außerhalb der Christenheit im allgemeinen einerseits bis zur Aussage des Metropoliten Platon von Kiev, der 1884 öffentlich in einer Predigt erklärte, "dass die Kirche des Ostens und die Kirche des Westens Zwillingsschwestern seien, die nur durch Missverständnisse getrennt sind." Dazwischen gibt es alle nur möglichen Abstufungen und Schattierungen negativer und positiver Einstellungen orthodoxer Theologen gegenüber der Kirche des Westens.

  1. Die Gültigkeit der Sakramente.

    Während Solov’ev bei den Griechen die Praxis einer Wiedertaufe von Konvertiten (ohne Unterschied zwischen Katholiken und Protestanten) konstatiert, stellt er die Anerkennung aller Sakramente (selbst die Gültigkeit der Priesterweihe) bei den Russen heraus, "weswegen die katholischen Priester und Bischöfe bei uns in den gleichen kirchlichen Rang aufgenommen werden." Auch hat man von den unierten Ruthenen, die 1839 unter Zwang in die Russische Orthodoxe Kirche eingegliedert wurden, keinerlei Abschwörung ihrer katholischen Glaubensüberzeugungen verlangt. Daraus zieht Solov’ev die Schlussfolgerung, "dass die russische Kirche nicht nur die Wirksamkeit der Erlösungsgnade in der Kirche des Westens anerkennt, sondern auch bestätigt, dass die katholische Lehre von jedem dogmatischen Irrtum oder jeglicher Häresie frei ist." Für Solov’ev können vielfach die massiven Angriffe gewisser russischer Schriftsteller und eines Teils des Klerus, die gegen den Katholizismus vorgebracht werden als Widersprüche entlarvt werden. "Und da es gewiss ist, dass bei uns in dieser Hinsicht mehr Unwissenheit als böser Wille vorliegt, so wird es genügen, das Problem durch das reine Licht der Wahrheit und der Wissenschaft aufzuhellen, um es im Prinzip schon gelöst sein zu lassen."

  2. Die Autonomie der russischen Kirche.

    Nämlich die Tatsache, dass insbesondere die Russische Kirche niemals zum Patriarchat des Westens gehörte, sieht Solov’ev als einen günstigen Umstand. Denn ein Wiedererlangen der alten Einheit würde auch die lateinische Engführung des römischen Bischofsstuhls aufsprengen. "Sobald die alte Einheit erst einmal wiederhergestellt ist, wird die katholische Kirche, obwohl sie kraft des Zentrums der Einheit immer römisch bleiben wird, doch in ihrer Ganzheit nicht mehr lateinisch und abendländisch sein, was sie infolge der Einförmigkeit ihrer Organisation und ihrer Verwaltung zur Zeit ist (unbeschadet ihrer Toleranz den verschiedenen Riten gegenüber, die ganz und gar an zweiter Stelle steht). Romana, das ist der Name des Zentrums, das unveränderlich und auf gleiche Art und Weise für den ganzen Umkreis bestehen bleibt: Latina, das bezeichnet nur die eine Hälfte, einen großen Ausschnitt aus dem Kreise, der niemals das Ganze endgültig aufsaugen darf. Nicht die lateinische Kirche, sondern die Kirche von Rom ist mater et magistra omnium ecclesiarum; nicht der Patriarch des Abendlandes, sondern der Bischof von Rom spricht unfehlbar ex cathedra; und man sollte nicht vergessen, dass es einmal eine Zeit gab, wo der Bischof von Rom griechisch sprach."

In seiner abschließenden Zusammenfassung betont Solov’ev nochmals klar und unmissverständlich
  1. die Unterscheidung zwischen privaten Meinungen von Theologen und dem Glauben der Ostkirche in ihrer Gesamtheit; und

  2. die Unterscheidung zwischen der Autorität des Papstes als Nachfolger des heiligen Petrus und seiner Verwaltungsbefugnis als Patriarch des Abendlandes. Diese Unterscheidung garantiere die Autonomie der Ostkirche, ohne die eine Wiedervereinigung unmöglich wäre.

Was den letzten Punkt betrifft, setzt Solov’ev großes Vertrauen "zur traditionellen (des göttlichen Bestands gewissen) Weisheit der römischen Kirche und zur überlegenen Klugheit und den besonderen Tugenden des gegenwärtig regierenden Papstes." (= Leo XIII., Papst von 1878 bis 1903).

Zum Schluss des Briefes stellt Solov’ev deutlich den Nutzen einer Wiedervereinigung für beide Seiten in einem visionären Ausblick heraus: "Rom würde ein frommes und für die religiöse Idee begeistertes Volk gewinnen, es würde einen treuen und machtvollen Verteidiger gewinnen. Russland, das nach dem Willen Gottes die Geschicke des Orients in seinen Händen hält, würde sich nicht nur von der unfreiwilligen Sünde des Schismas losmachen, sondern darüber hinaus und eo ipso frei sein für die Erfüllung seiner großen, wahrhaft universalen Berufung: alle slavischen Nationen um sich zu vereinen und eine neue, wirklich christliche Zivilisation zu begründen, ..."

Mit großem Optimismus und hochfliegenden Plänen kehrt Solov’ev aus Kroatien in seine Heimat zurück. Die Gespräche mit dem großen slawischen Kirchenfürsten, in denen er volle Zustimmung für seine Gedanken bekam, bestärken ihn in seinem Einsatz für die Einheit der Kirchen. Dabei muss er schwere Enttäuschungen in Kauf nehmen. In den freundschaftlichen Beziehungen zu Bischof Stroßmayer sehen maßgebliche Kreise der russischen Kirche und der Regierung den Beweis dafür, dass er seiner Mutterkirche untreu geworden und den "papistischen Irrtümern" endgültig verfallen sei. Man wollte ihn sogar verhaften und nach Sibirien verschicken. Im Juli 1888 schrieb er aus Paris nach Russland: "Zu mir kommen unbestimmte Gerüchte über Klatschereien in russischen Zeitungen, ich sei zum Katholizismus übergetreten. In Wirklichkeit bin ich jetzt von einem solchen Schritt weiter entfernt als früher."

Wenn Solov’ev in der katholischen Welt durch seine Thesen zunächst weitgehende Beachtung und Anerkennung fand, so gab es doch sehr bald auch im Westen kritische Stimmen an seiner Lehre von der freien universalen Theokratie. Man tat sich schwer mit seiner Vision, dass das mit Rom vereinigte "heilige Russland" den stolzen Reigen eröffnen werde, vor dem sich die Pforten des ewigen Reiches auftun müssen. Ebenso fand die Auffassung, die russische Kirche dürfe sich mit Recht als rechtgläubig betrachten, da sie den ganzen Schatz des christlichen Glaubens unversehrt bewahrt habe in bestimmten katholischen Kreisen keine Zustimmung. Auch die klare Unterscheidung zwischen "römisch" und "lateinisch" und die damit verbundene scharfe Kritik am "Papismus", der für Solov’ev die Zusammenfassung der Irrwege Roms darstellt, war für manche katholische Kreise unannehmbar. Im Papismus zeige sich - nach Solov’ev - "ein eifersüchtiges allzu geschäftiges Verhältnis zur eigenen Macht; es zeige sich das Bestreben, diese Macht auf den Boden eines äußeren formellen Rechts zu stellen, sie juristisch zu begründen, sie durch eine geschickte Politik zu befestigen, sie mit bewaffneter Hand zu verteidigen." "Auf dem eigentlich kirchlichen Gebiete äußert sich der Papismus vor allem in der Aufhebung der großen örtlichen Kirchen oder Metropolen. Die Abhängigkeit der Bischöfe von ihren Erzbischöfen oder Metropoliten hört auf und wird durch die unmittelbare Unterordnung aller Bischöfe unter den Papst ersetzt."

Bei allem utopischen Charakter seiner Pläne und Zukunftshoffnungen hat Solov’ev in dem Brief an Bischof Stroßmayer Grundthesen aufgestellt, die sich später als prophetisch erweisen sollten. Im Breve "Anno ineunte", das Papst Paul VI. dem Patriarchen Athenagoras am 25. Juli 1967 übergab, können wir an einigen Passagen Solov’ev fast wörtlich heraushören: "Durch die Taufe sind wir nämlich eins in Christus Jesus’ (Gal 3, 28). Außerdem ,verbinden uns kraft der apostolischen Sukzession das Priestertum und die Eucharistie ganz eng miteinander’ (vgl. Unitatis Redintegratio Nr. 15). Wir sind in so tiefer geheimnisvoller Gemeinschaft miteinander verbunden, dass wir in der Teilhabe an den Gaben, die Gott seiner Kirche verleiht, durch den Sohn im Heiligen Geist mit dem Vater in Gemeinschaft stehen. ... Nun schenkt uns nach langen Meinungsverschiedenheiten und Zwistigkeiten Gott die Gnade, dass unsere Kirchen sich wiederum als Schwesterkirchen erkennen trotz der Schwierigkeiten, die in früherer Zeit zwischen uns entstanden sind. ... Da wir uns auf beiden Seiten zu den ,Grunddogmen des christlichen Glaubens’ bekennen, ,die auf Ökumenischen Konzilien definiert worden sind: die Dreifaltigkeit und das Wort Gottes, das aus der Jungfrau Maria Fleisch angenommen hat (UR, Nr. 14), und die wahren Sakramente und das hierarchische Priestertum besitzen, ist es vor allem notwendig, dass wir im Dienst an unserem heiligen Glauben brüderlich daran arbeiten und uns darum sorgen, dass wir die geeigneten weiterführenden Wege ausfindig machen, um im Leben unserer Kirchen die bereits bestehende, wenn auch noch unvollkommene Gemeinschaft zu fördern und in die Tat umzusetzen."