OKI-Logo Stellungnahme zum Krieg in Tschetschenien


Frage Radio: Herr Prälat Wyrwoll, Patriarch Alexij hat Generäle, die in Tschetschenien kämpfen, mit kirchlichen Orden ausgezeichnet. Kann das nicht zu Spannungen zwischen der katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche führen?
Dr. Wyrwoll: Beurteilung der Situation unserer Schwesterkirchen im Osten hängt immer von den Informationen ab, die uns da zur Verfügung stehen.
Ich erinnere daran, dass wir die serbische orthodoxe Kirche verurteilten, weil sie angeblich den Krieg in Jugoslawien gutheißt. Dann erhielten wir die Originaltexte der Erklärungen von Patriarch und Synode, und nun wissen wir, dass die serbische Kirche mit großem Mut gegen jede Gewalt gemahnt hatte - aber wir es nicht erfahren hatten. Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet, bekommt eine akuelle Bedeutung.
Im Herbst 1998 hat eine Gruppe französischer Soziologen und Geografen eine Feldstudie in den Gebieten der russischen Föderation durchgeführt, die rings um Tschetschenien liegen. Die Feldstudie wird demnächst auf französisch als Buch erscheinen. Die Franzosen berichten, dass sich die Menschen in jenen Teilen von der Regierung verlassen fühlen, in Tschetschenien auch. Hilflos sind sie Räubern und Banden ausgesetzt, die sich als tschetschenische Freiheitskämpfer ausgeben, das Vieh wegtreiben und Autos stehlen, systematisch Kinder entführen und Lösegelder erpressen. Die von der Föderation überwiesenen Renten kommen nicht bei ihren Empfängern an, sondern werden geraubt. Spontan werde ich an die Hussitenkriege erinnert.
Die Kirche war über diese menschenverachtenden Zustände durch ihre Pfarreien informiert und hat auch den Patriarchen von Moskau auf dem Laufenden gehalten. Zwei Priester wurden entführt und gefoltert - in Tschetschenien gibt es nur zwei Pfarreien. Selbst in Moskau und anderen großen Städten explodierten Wohnhäuser.
Ende März 1999 - bei uns im Westen hat alles auf Jugoslawien geschaut - hat Patriarch Aleksij zum ersten Mal die Stimme erhoben und die russische Regierung angeklagt, nichts für die Ordnung in Südrussland zu tun. Patriarch Aleksij sagte im Frühjahr 1999, dass offenbar der sogenannte Friedensschluss im Sommer 1996 nur eine Propaganda gewesen sei, um die Wahl des Präsidenten zu beeinflussen. Die Menschen hätten keinen Frieden gefunden.
Im August 1999 und im Oktober 1999 hat die orthodoxe Bischofskonferenz auf ihrer Versammlung in Moskau den Kampf gegen den Terrorismus in Südrussland begrüßt und ermutigt.
Damals hat keine westliche Kirche Solidarität mit den Christen in Südrussland ausgedrückt. Nur der Rat der islamischen Muftis der russischen Föderation hat gemeinsam mit Patriarch Aleksij erklärt, dass man den Krieg in Tschetschenien nicht als Kampf zwischen Religionen tarnen dürfe. Der Rat der islamischen Muftis der russischen Foederation hat auch Ende 1999 noch einmal jeden Terrorismus verurteilt.
In Russland gibt es jetzt im Januar 2000 viele Menschen, die den Einsatz von Truppen zur Herstellung der Ordnung in Tschetschenien nicht gut heißen, besonders die Eltern und Familien der Soldaten. Sie plädieren dafür, die Menschen im Kaukasus ihrem Schicksal zu überlassen. Es sei doch ein Bandenkrieg zwischen verschiedenen Terrorgruppen, zwischen unterschiedlichen Interessen am Öl und an den Pipelines.
Das ist der Informationsstand der Kirche in Moskau. Wenn Patriarch Aleksij durch die Ordensverleihungen den mutigen Einsatz einzelner in Tschetschenien auszeichnen will, kann ich das verstehen.
Die Bombardierungen Unschuldiger hat der Patriarch verurteilt zusammen mit den islamischen Geistlichen. Er hat an die Bombardierungen im Kosovo und in Dresden usw. erinnert.

Dr. Klaus Wyrwoll
Ostkirchliches Institut
Regensburg
1. Februar 2000